Book Title: Zum Begriff Der Substanz Im Vaisesika
Author(s): Wilhelm Halbfass
Publisher: Wilhelm Halbfass
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ZUM BEGRIFF DER SUBSTANZ (DRAVYA) IM VAISESIKA Von Wilhelm Halbfass, Philadelphia I. Seit den Anfangen der neuzeitlichen Indienkunde im 18. Jahrhundert und vor allem seit COLEBROOKES grundlegenden Arbeiten zur indischen Philosophie ist es ublich, dravya mit,,Substanz" zu ubersetzen1, und nur relativ selten ist nach dem genauen Sinn dieser Ubersetzung gefragt worden. Der Substanzbegriff wird als Mittel der Interpretation einfach in Anspruch genommen, und die Unterscheidung von Substanz und Qualitat gilt als sicherer und selbstverstandlicher Massstab fur das Verstandnis und die Beurteilung dessen, was in der indischen Tradition durch Begriffe wie dravya und guna erreicht worden ist. Nun bedarf es jedoch nur einer fluchtigen philosophiehistorischen und systematischen Besinnung, um zu sehen, dass das Verhaltnis von Substanz und Qualitat keineswegs eindeutig und gesichert ist und dass der Begriff der Substanz wohl einer der vertrautesten und traditionsreichsten, zugleich aber einer der vieldeutigsten und umstrittensten Begriffe der abendlandischen Philosophie ist. Die Kritik dieses Begriffs und die historische Entwirrung seiner vielfaltigen Implikationen ist in der Tat eines 1 Schon ALEXANDER Dow gibt in seiner,,Dissertation concerning the Customs, Manners, Language, Religion and Philosophy of the Hindoos" (in: The History of Hindostan, vol. 1, London 1768) dravya-Dow selbst schreibt ,,dirba" - mit,,substance" wieder; entsprechend wird guna (,,goon") mit,quality" ubersetzt (vgl. The British Discovery of Hinduism in the 18th Cent., ed. P. J. MARSHALL, Cambridge 1970, 131). Zu COLEBROOKES Darstellung des Nyaya und Vaisesika vgl. Miscellaneous Essays, vol. 1, London 1837, 261294). * Abweichende Ubersetzungen sind nur vereinzelt und in Arbeiten vorgeschlagen worden, die heute kaum noch als aktuell gelten durfen. So verwendet etwa M. MULLER (Beitrage zur Kenntnis der indischen Philosophie. I. ZDMG 6, 1852, 1-34; 219-242) die Ubersetzung,,Gegenstand"; J. C. CHATTERJI (The Hindu Realism, Allahabad 1912) spricht von neun "realities". Vgl. z. B. H. JACOBI, Jaina Sutras. Pt. II (Sacred Books of the East 45; repr. New York 1968), Introduction XXXIII; E. FRAUWALLNER, Geschichte der indischen Philosophie. Bd. II (Salzburg 1956) 116. Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 142 WILHELM HALBFASS der Leitthemen der neueren Philosophie geworden. - Allein mit dem Substanzbegriff aristotelischer Pragung verbindet ein modernes philosophisches Nachschlagewerk die folgenden sechs Bedeutungen: 1) konkretes Individuum; 2) Grundbestand wesentlicher Eigenschaften; 3) was selbstandig zu existieren vermag; 4) Zentrum der Veranderung; 5) Substrat; 6) logisches Subjekt". Es kann hier nicht darum gehen, zu erortern, inwieweit diese Liste der aristotelischen Substanzlehre gerecht wird; und wir konnen auch darauf verzichten, sie durch nahere Hinweise auf nacharistotelische Entwicklungen zu erganzen. Zur grundsatzlichen Orientierung mag es genugen, sich die folgenden Bedeutungen und Aspekte des Substanzbegriffs zu vergegenwartigen: das Beharrende gegenuber der Veranderung; das Selbstandige gegenuber dem Abhangigen, den Attributen; das Wesentliche gegenuber dem Akzidentiellen; das numerisch Identifizierbare und Individuelle gegenuber dem bloss generisch und qualitativ Bestimmbaren; und in anderer Perspektive: das konkrete Ding als relative" empirische Substanz; ein dem Ding zugrundeliegendes Substrat oder Tragerwesen als theoretisch postulierte,,absolute" Substanz. Alle diese Bedeutungen und Aspekte begegnen in mannigfacher Brechung und Variation im Kontext kosmologischer, ontologischer, theologischer, erkenntnistheoretischer und logischer Erorterungen". Unsere Hinweise auf das Ausmass der mit dem Substanzbegriff verknupften Fragen und Ambivalenzen sollen keineswegs besagen, dass dieser Begriff als Mittel der Interpretation untauglich sei oder dass er durch eine definitorische Willenserklarung terminologisch festgelegt werden musse. Es geht vielmehr darum, in der systematischen Besinnung auf die Mehrdeutigkeit, Fragwurdigkeit und Offenheit des abendlandischen Substanzbegriffs sich methodisch offen zu halten fur die mannigfachen Implikationen und Komplikationen im Begriff des dravya und in verwandten indischen Konzeptionen- und daruber hinaus fur die den beiden Traditionen denn doch wohl gemeinsamen sachlichen Probleme". Als eine der neuesten kritischen Bestandsaufnahmen zum Substanzthema vgl. A. QUINTON, The Nature of Things (London 1973). QUINTON leitet sein Werk mit der Feststellung ein:,,Substance is the oldest topic of philosophical inquiry and it is also one of the most entangled". P. EDWARDS (ed.), The Encyclopedia of Philosophy (New York/London 1967), Art.,,Substance and Attribute", bes. S. 37. Vgl. auch R. EISLER, Worterbuch der philosophischen Begriffe (Berlin 1927-1930), Art. Substanz". 'Demgemass geht es im folgenden weder um eine neutrale" historischphilologische Darstellung noch um ein freies Weiterdenken beruhrter Probleme; es wird vielmehr versucht, in stetem Bezug auf die Texte zugleich philosophisch-kritisch nachzudenken. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dnaoya) im Vaibesika 143 II. Wenn wir die Gebrauchsweisen von dravya und verwandten Begrif. fen und Termini in der indischen Tradition -- d. h. vor allem im Veisesika und Nyaya, in der Philosophie der Grammatik und Mimamsa, aber auch z. B. im Jinismus und in der Kritik der Buddhisten und Vedantins - uberblicken, so wird ein weites Bedeutungsfeld und eine Vielzahl begriffs- und problemgeschichtlicher Zusammenhange sichtbar: Im Kon. text von Begriffen wie guna, paryaya, samanya, jati, aksti, vyakti, asraya, und in einer Reihe wechselnder Zuordnungen und Gegenuberstellungen, bezeichnet dravya u. a. das Bestandige gegenuber dem Unbestandigen, das Selbstandige gegenuber dem Unselbstandigen, das Individuelle und Besondere gegenuber dem Allgemeinen, das Konkrete gegenuber dem Abstrakten, das ,,Selbstsein" oder ,,Eigenwesentliche" gegenuber dem Relativen. Wahrend es einerseits an die kosmogonisch-kosmologische, schon in den Upanisaden zentrale Thematik des Bestandigen im Werden, des Weltsubstrats anschliesst, steht es andererseits im Schnittpunkt logischer und erkenntnistheoretischer Uberlegungen zum Begriff und Problem des konkreten ,,Dinges". - Grundsatzliche philosophische Perspektiven und goschichtliche Reflexionsstufen finden jeweils ihren symptomatischen Ausdruck im Zugang zum Substanzthema; auch in der Kritik und Polemik, fur die Formulierung von Alternativen und Gegenposi. tionen, erweist sich dravya noch als wichtiger begrifflicher Katalysator. Schon einige der fruhesten uns erhaltenen expliziten Stellungnahmen und Definitionsversuche, wie sie vor allem Patanjali in seinem Mahabhasya', durchweg in Anknupfung an altere Autoritaten, prasentiert, illustrieren die Mehrdeutigkeit und Spannweite des Themas: dravya be .. Bharthari erklart (Vakyapadiya III/1, Dravyasamuddesa 1), dass die Substanz (draryo) schlechthin, als das Absolute, dasjenige sei, worum es in allen Schulen des Denkens, wenn auch unter verschiedenen Bezeichnungen, letztlich geht: atma vastu svabhavas ca sariram tattvam ity apil dravyam ity asya paryayas tac ca nityam iti ampiam II Helaraja bemerkt dazu (ed. SUBRAMANIA IYER, Poona 1963), dass es ausser diesem absoluten (paramarthika) Substanzbegriff auch einen empirisch-um. gangssprachlichen (samvyavaharika)-d. h. den gewohnlichen" offenen Ding. begriff -- gebe. Vgl. besonders Mahabhasya (od. F. KIELHORN; 3rd ed. K. V. ABHYANKAR, Poona 1962-1972) II 366; hier wird dravya zunachst als von den Qualitaten (guna) verschiedenes Substrat, dann als ,,Zusammenlauf von Qualitaten" (gunasamdrava) bestimmt. Vgl. auch II 200; drawya als gunasamudaya. Zum ambivalenten Verhaltnis von dravya und akyti vgl. besonder I 7.-Ambivalent ist das Wort auch in NS. Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 144 WILHELM HALBTA88 gegnet als das partikular bestimmte Einzelding, als ein stabiler Komplex von ,,wesentlichen" Eigenschaften, oder auch als ein dem Ding zugrundeliegendes, nur in seinen bzw. des Dinges Formen und Modi zugangliches Stoffsubstrat. Einerseits ist es der vielen, durch unwesentliche und ver. gangliche Formen (akyti) voneinander verschiedenen Dingen gemeinsame und in ihnen bestandige Stoff, andererseits bezeichnet es die geformten Einzeldinge selbst, die nun ihrerseits als unbestandige Exemplifikationen bestandiger Formen gelten. - Die Dialektik und Ambivalenz, die sich hier andeutet, ist in den Diskussionen der folgenden Jahrhunderte zen. tral, wenn auch nicht immer offenkundig: Sie betrifft das Verhaltnis von Bestimmung, Bestimmungstrager und der konkreten Einheit beider; in diesem Rahmen oszilliert das Verstandnis von dravya, in mehr oder weniger deutlicher Annaherung, zwischen zwei Grenzwerten - namlich dem am vollsten Qualifizierten, d. h. dem konkret-bestimmten, durch Eigennamen zu bezeichnenden Einzelding, und dem selbst unqualifizierten, seiner Tendenz nach sich im Unbestimmten verlierenden Trager der Bestimmungen 10 Die folgenden Erorterungen konzentrieren sich auf die Frage des Verhaltnisses von dravya und guna, und zwar unter weitgehender Be schrankung auf die Literatur des klassischen Vaibesika und ihr nahestehende Nyaya-Texte. Einige der erwahnten grundsatzlichen Probleme treten auch in solcher Beschrankung deutlich genug zutage. - Das Vai. sesika gilt manchen seiner indischen und westlichen Beurteiler als ein bis zur Grobschlachtigkeit eindeutiges, in seinen dem common sense verpflichteten Voraussetzungen leicht durchschaubares System. In der Tat wird an gewissen Grundvoraussetzungen mit unverdrossener Hartnackig. keit festgehalten. Auf diese Weise freilich werden sie zu Konsequenzen verfolgt, die vom common sense weit entfernt sind und nicht selten als scholastische Verstiegenheiten und karikaturistische Verzerrungen echter Probleme erscheinen mogen. Gleichwohl bleiben die Lehren und Problemstellungen des Vaisesika auch in ihren Einseitigkeiten und Paradoxien noch aufschlussreiche Belegstucke fur wichtige Moglichkeiten und Ver. suchungen philosophischen Denkens, und sie verdienen nicht nur als historische Kuriosa, sondern auch als Ansatzpunkte zu systematischphilosophischem Nachdenken und zur, Uberprufung unserer eigenen Voraussetzungen ernst genommen zu werden". In der Diskussion um das Problem der Wortbedeutung kann sowohl dravya (vgl. die Einleitung des Mahabhasya) wie vyakti (vgl. NS II b 57ff.) das individuelle Einzelding bezeichnen; vgl. auch NM I 297ff.; sowie allgemein zu diesem Thema M. BIARDEAU, Theorie de la connaissance et philo. sophie de la parole dans le brahmanisme classique (Le Hayo/Paris 1984) 22981. u S. o., Anm. 7. Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaisesika 145 Zur Art und Weise, in der die Vaisesika-Texte den Substanzbegriff einfuhren und zum Thema stellen, ist zunachst folgendes zu bemerken: Es wird keine allgemeine und funktionale Bestimmung oder Definition von drarya gegeben; es wird uberhaupt nicht eigentlich gefragt, was denn die Substanz selbst und was die grundsatzlichen Implikationen ihres Begriffs seien. Stattdessen wird eine umfassende Aufzahlung alles dessen geboten, was unter diesen Begriff fallt - die bekannte Liste der neun drarya Erde, Wasser, Feuer, Luft, Ather, Raum, Zeit, Seelen, innere Organe-, und daran anschliessend, und in durchaus sekundarer Weise, werden einige mehr oder weniger gemeinsame Attribute der in dieser Liste genannten Entitaten zusammengestellt. - Eine vollstandige Aufzahlung in diesem Sinne ware mit dem ,,kategorialen" Zugang zum Substanzthema, wie wir ihn etwa bei Kant oder auch schon bei Aristoteles finden, offenkundig nicht zu vereinbaren: Beide konnen, was sie ouola bzw. Substanz nennen, nur durch Beispiele illustrieren; fur eine vollstandige Liste ware im begrifflichen Rahmen und angesichts der grund. satzlichen Orientierung ihrer Kategorienlehren kein Platz". - Im Vorgriff auf Spateres ist hier anzumerken, dass der enumerative Zugang zum Substanzthema im Vaisesika, zu dem funktionale und kategoriale Uberlegungen nur gleichsam nachtraglich und derivativ hinzutreten, mit dem kosmologisch-naturphilosophischen Hintergrund des Systems zusammen. hangt; und dieser Hintergrund ist auch fur die spateren kategorialen Erorterungen des Verhaltnisses von dravya und guna noch bedeutsam. Die als Substanzen zusammengefassten Entitaten bzw. Klassen von Entitaten bilden eine in mancher Hinsicht heterogene Gruppe, auf deren geschichtliche und systematische Problematik wir hier im einzelnen nicht eingehen konnen. Wir wenden uns vielmehr einer weiteren Unterteilung zu, die innerhalb dieser Gruppe, und zwar in speziellem Bezug auf die atomaren' Substanzen Erde, Wasser, Feuer und Luft, durchgefuhrt wird - der Unterteilung in ewige (nitya) und vergangliche, ,,nicht-ewige" (anitya) Substanzen. Die ewigen Substanzen sind die unteilbaren, unzerstorbaren Grundbausteine der Welt, ihre letzten Materialursachen, d. h. speziell die ,,Atome" (anu, paramanu) der genannten vier elementaren Auf doxographisch Grundsatzliches zum Vaisesika wird im folgenden nicht naher eingegangen; vgl. dazu E. FRAUWALLNER, Geschichte der indiachen Philosophie. Bd. II (Salzburg 1956). 13 Vgl. z. B. Kants funktionale Bestimmung des Substanzbegriffs (Kri. tik der reinen Vernunft A 182): ,,Alle Erscheinungen enthalten das Behart. liche (Substanz) als den Gegenstand selbst, und das Wandelbare, als dessen blosse Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Gegenstand existiert." - Auch in der indischen Tradition kommt es zu durchaus funktionalen Bestimmungen des Substanzbegriffs, einerseits z. B. in der Philosophie der Jainas, anderer. seits vor allem in der Philosophie der Grammatik. 10 Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 146 WILHELM HALBTASS Substanzen. Die verganglichen Substanzen sind die aus den Atomen auf. gebauten oder vielmehr durch sie verursachten konkreten und teilbaren Dinge, welche mit einem im Vaisesikasutra noch nicht gebrauchten, wohl eher im Nyaya beheimateten Ausdruck avayavin genannt werden", - Bei fluchtigem Hinsehen mag diese Unterteilung des Substanzbegriffs als ein im System wohlintegriertes und keineswegs mit besonderen Problemen beladenes Lehrstuck des Vaisesika erscheinen. Die Lehre von den ewigen und den verganglichen Substanzen hat jedoch viel weiterreichende Konsequenzen als diejenigen, welche in ihrer expliziten Darlegung ohne weiteres sichtbar sind. Was als blosses Nebeneinander zweier Arten der Gattung Substanz erscheint, ist in Wahrheit eine Gegenuberstellung zweier verschiedener Zugangsweisen zum Substanzthema, mit grund. satzlich verschiedenartigen Problem bezugen, auch wohl historisch ver. schiedenen Reflexionsstufen zuzuordnen. Mit der Konzeption des anityadrarya bzw. avayavin halten Probleme und Gesichtspunkte Einzug, die dem ursprunglich naturphilosophischen Rahmen des Vaisesika fremd und in ihm nicht zu bewaltigen sind: Die verganglichen Substanzen sind nicht kosmische Grundbausteine, theoretisch-reduktiv postulierte Elemente und Materialursachen, sondern konkrete, numerisch identifizier. bare Dinge unserer empirischen und praktischen Welt, Zuhandenes, mit dem wir tatsachlich zu tun haben 15, dem die Worte unserer alltaglichen Sprache entsprechen, und das insofern in ganz anderer Weise in den Kon. text sprach- und erkenntnistheoretischer Uberlegungen einzutreten vermag. Und diese konkreten Dinge fugen sich ja offenbar keineswegs dem Anspruch umfassenden Aufzahlens, wie wir ihn im ursprunglich kosmologisch-naturphilosophischen Zugang zum Substanzthema fanden; sie sind vielmehr nur von Fall zu Fall exemplifizierbar und konnen den ewigen Substanzen nur aufgrund einer im folgenden naher zu kennzeichnenden funktionalen Analogie an die Seite gestellt werden. - Das gleich. wohl auch in der Auslegung der unter dem Titel ,,vergangliche Substan 11 Vgl. NS II a 30ff; IV b 3; 7ff.; PB 21. - Hier ist daran zu erinnern, dass nach der umstrittenen Lehre des Vaisesika der avayavin nicht einfach ein Aggregat seiner Teile ist, sondern seinen Materialursachen als etwas Zusatz. liches, als in ihnen nicht enthaltene Wirkung hinzugefugt wird. Obwohl durch Teile verursacht, ist der avayavin als solcher teillos; er hat seine eigene, in sich geschlossene Identitat und Bestimmtheit, in welcher er entweder ,,ganza oder uberhaupt nicht existiert; und genau genommen ist das Wort ,,ganz" (krtona) auf den avayavin als solchen uberhaupt nicht anwendbar; vgl. NBh zu NS II a 33 (ND272-273). 1 Naturlich kann es in dem kosmologisch.naturphilosophischen Hori. sont des Vaisepika keinen Begriff des ,,Zuhandonen" oder der Lebenswelt" geben; gleichwohl werden in diesem Rahmen Entitaten konzipiert, die in ihrer Funktion ,,lebensweltlich" sind. Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (draya) im Vaiserika 147 zen" vorgefuhrten konkreten Dinge ein grundsatzlich kosmologisch-natur. philosophisches und enumeratives Realitatsverstandnis verbindlich bleibt, fuhrt, wie zu zeigen sein wird, zu einigen der notorischen Verstiegenheiten des Vaisesika und zu symptomatischen Verstandigungsschwierigkeiten zwischen diesem System und seinen Opponenten. Alle Substanzen konnen im Verhaltnis zu ihren Qualitaten als Trager, Substrate (asraya) bestimmt werden, aber nicht allen kommt es zu, selbst ohne Substrat, ,,nicht-getragen" zu sein; nur die ewigen Substanzen sind zugleich auch substratloslo und insofern ohne (materiale) Ursache '7. Nur die teillosen Substanzen, die den teilbaren zugrunde liegen, sind Substrate in absolutem, in keiner Hinsicht eingeschranktem oder bedingtem Sinne. Sie sind die selbst nicht verursachten Ursachen und Substrate der ,,nicht-ewigen" empirischen Dinge, die ihrerseits Materialursachen und Substrate ihrer Qualitaten sind. Die teillosen Substanzen sind, als das Tragende und Bestandige im Verganglichen und Abhangigen, Substanzen schlechthin. Die Frage nach dem Bestand im Werden, nach seiner letzten Materialursache, gehort in Indien wie im Westen bekanntlich zu den altesten philosophischen Fragen; und das Substanzproblem in diesem kosmologischen Sinne ist nicht selten sogar als geschichtlicher Ausgangspunkt wissenschaftlich-philosophischen Denkens bezeichnet worden 18. - Schon Aristoteles sieht das Problem der Substanz (ouoia) als eigentliches Leitthema im kosmologisch-physikalischen Denken seiner vorsokratischen Vorganger; zugleich weist er jedoch auf das grundsatzlich Andersartige seines eigenen Ansatzes hin und hebt hervor, dass der kosmologisch-physi. kalische Ansatz auf den Gesichtspunkt des stofflichen Substrats, der blossen Unterlage" (Unoxcluevov) beschrankt bleibt und weder zum Begriff der Substanz als konkretes Ding (TOSE TI) noch zu einer Unterschei. dung von ,,Bodeutungen des Seins" und damit zu einer kategorialen Be. stimmung des Verhaltnisses von Substanz und Qualitat gelangt. Auch in der indischen Tradition ist, wie schon bemerkt, das Substanzthema ein in seinen Ursprungen kosmologisches Thema; und in kos mologischem Kontext wird auch die Konzeption der Qualitat" (una) 10 Vgl. PB 21: andsritatvanityatve ca-anyatra-avayavidnavyobhyan. 17 Vgl. PB.17: karyatvdnityatve karanavatam eva. 16 Z.B.E. CASSIRER, Substanzbegriff und Funktionsbegriff (Berlin 1910) 200: ,,Der logische Gedanke der Substanz steht an der Spitze der wissenschaftlichen Weltbetrachtung uberhaupt; er ist es, der geschichtlich die Grensncheide zwischen Forschung und Mythos vollzieht." 10 Vgl. 2. B. Metaphysik 992 b 18 ff. (zum Ungenugon des Bogriffs des Elemento", GrouxeTov). Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 148 WILHELM HALBTA88 vorbereitet 80: In fruhen kosmologischen und naturphilosophischen Tex. ten, vor allem in den philosophischen Partien des Mahabharata, begegnen wir nicht nur dem Terminus guna, sondern auch bereits zahlreichen spezifischen Beispielen dessen, was im klassischen Vaisegika unter diesem Titel prasentiert und diskutiert wird, insbesondere den funf Sinneg- und Elementqualitaten 21 Farbe, Geschmack, Geruch, Gefuhl (d. h. taktile Beschaffenheit) und Ton (rupa, rasa, gandha, sparsa, tabda). Jedoch erscheinen diese auch als visesa bezeichneten gunas hier nicht als kategorial verstandene, von den Substanzen in ihrem Seinssinn verschiedene Beschaffenheiten. Sie sind vielmehr spezifische Produkte, gleichsam Absonderungen, der funf Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft und Ather, und sie werden diesen im kosmologischen Evolutionsmodell als ein weiteres Evolutionsprodukt hinzugefugt; in diesem Zusammenhang geht es uberhaupt nicht um kategoriale Fragen oder um Pradikationsprobleme, sondern um die kosmologische Aufreihung verschiedener Stufen im Evolutionsprozess. - Zu erinnern ist bei dieser Gelegenheit auch an den Be. griff der ,,inneren Differenzierung" (vikara, parinama u. dgl.), in dessen Nahe guna oft zu finden ist, sowie an den bekannten kosmologischen und ,,nicht-kategorialen" Gebrauch von guna im Samkhya. Vom Vaibenika durfen wir sagen, dass es nicht nur in grundsatzlichom und allgemeinem Sinne von kosmologisch-naturphilosophischer Herkunft ist; es steht auch in manchen Einzelheiten seiner Substanzlehre auf demselben Boden wie die epische Naturphilosophie. Ebenso deutlich ist es auf der anderen Seite, dass dieses System in seiner weiteren Ent. wicklung den naturphilosophisch-kosmologischen, von hylozoistischen * Bei aller grundsatzlichen Wichtigkeit grammatischer Begriffsbildung fur die Gestaltung der Kategorienlehre kann doch keine Rede davon sein, dass, wie H. von GLASENAPP (Die Philosophie der Inder, Stuttgart 1949, S. 62) meint, ,,die ontologische Unterscheidung von Dingen, Eigenschaften und Handlungen" uberhaupt erst durch die Klassifikation von Worten, wie wir sie bei Patanjali finden, angebahnt worden sei. Andererseits durfen wir kaum mit K. A. SUBRAMANIA IYER (The Conception of guns among the Vaiyyakare. nas, New Indian Antiquary 5, 1942/43, 121-130) annehmen, dass etwa schon Panini selbst auf die fortig entwickelten Vaisesika-Kategorien dravya und guna habe zuruckgreifen konnen. Eindeutige und einseitige Abhangigkeitsverhaltnisse lassen sich hier nicht konstruieren. u Vgl. z. B. Mahabharata (krit. Ausgabe) XII, 224, 35ff.; 225, 1 ff.; 177, 26 ff. - Zum Verhaltnis dieser und ahnlicher Lehren zum klassischen Sam. khya vgl. 0. STRAUSS, Zur Geschichte des Samkhya, WZKM 27 (1913) 257-275. * Z. B. Bhagavadgita XIII, 19; zuweilen werden die Evoluto der prakti (mahat, ahamidina usw.) selbst ausdrucklich als guna bezeichnet (z. B. Anugta 50, 33ff.). Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaibagika 149 Grundgedanken gepragten Rahmen sprengt >>. Statt einer im wesentlichen reduktiven, die empirische Welt zu ihren irreduziblen Grunden zuruck. verfolgenden und insofern ,,ubersehenden" Einstellung haben wir nun eine entschiedene Zuwendung zu den empirischen Dingen selbst, wie wir sie im alltaglichen Umgang (ryarahara) als Korrelate unserer Worte und Gedanken und nicht zuletzt auch unserer praktischen Aktionen kennen. Die Dinge selbst werden hier nicht mehr einfach durch Zuruckfuhrung auf etwas anderes, ihnen Zugrundeliegendes ,,erklart"; sie wer. den vielmehr (im Begriffe des avayavin hypostasiert) selbst zum Thema gestellt, und wie es scheint, wird auch der Dingbegriff selbst Gegenstand kategorialer Analyse 25. Gleichwohl ist der Schritt von der Naturphilosophie zur Kategorienlehre kein wirklich radikaler, jedenfalls kein im Bewusstsein einer radikalen Neuorientierung explizit vollzogener. Entwicklungen finden statt, aber sie bleiben ineinander verschrankt; Neues wird nicht aus dem Kontext des Alten gelost. Die ,,Kategorienlehre" des Vaisesika wird von ihrer kosmologischen Vorgeschichte keineswegs in dem Sinne abgehoben, in dem etwa Aristoteles seine Ontologie von der Naturphilosophie der Vorsokratiker abhebt. Auch als Kategorienlehre bleibt das Vaibesika sozusagen hybride Naturphilosophie. Dieser historisch-systematische Tatbestand ist auch fur die Interpretation des Verhaltnisses von dravya und guna zu berucksichtigen. Im hartnackigen Festhalten an der Abtrennung und Nebenordnung beider, die dem Vaisesika im logisch-erkenntnistheoretischen Zeitalter so sehr zu schaffen macht, ist eine ursprungliche und fortdauernde kosmologische Orientierung deutlich. Das Verhaltnis bleibt ja stets eines der materialen Kausalitat; die Qualitaten hangen von den Substanzen ab, werden geradezu von ihnen hervorgebracht, analog der Weise, in der die empi. rischen Dinge von den elementaren Weltbausteinen hervorgebracht werden. Die quasi-physikalischen Implikationen des Verhaltnisses von drarya und guna sind besonders deutlich in der allerdings offenkundig sekundaren und scholastischen Lehre, nach der der avayavin seine Qualitaten erst nach seiner eigenen Entstehung hervorbringen kann, folglich im ersten Augenblick seiner Existenz ohne Qualitaten sein muss. - Der Gedanke bloss potentiellen, in sich unbestimmten, zur Manifestation aktueller Entitaten befahigten Seins wird im Vaisesiks bekanntlich mit Nachdruck zuruckgewiesen. * Entgegen einer oft zu findenden, geschichtlich naiven Voraussetzung durfen wir fur das fruhe Denken keineswegs einen ,,Ding"-Begriff annehmen. - Die erwahnte ,reduktive" Einstellung lasst sich schon in Chandogy.-Upe. nisad VI beobachten. * Vgl. die oben, Anm. 3, genannten Stellen. >> Eine klare Formulierung dieser Lehre kann ich in PB nicht finden; sie wird jedoch offenbar in V9: VII, 1, 12 (fehlt in Vsi!) vorausgesetst: agung. Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 150 WILHELM HALBTASS Was im Vaibesika Unterscheidung des dinghaft Seienden von in an. derem Sinne ,,Seienden" zu sein scheint und in gewissem Masse auch ist, fuhrt insofern zugleich auch zu neuen Verdinglichungen. Und wir durfen sagen, dass das Vaibesika in der Weise, in der es die Qualitaten den ,ding. haften" Substanzen hinzufugt und kausal und anderweitig zu- und nebenordnet, einem grundsatzlich kosmologisch-naturphilosophischen Seinsverstandnis verbunden bleibt. . III. Zur naheren Kennzeichnung dessen, was allen Substanzen, den zu. vor aufgezahlten ewigen Weltbausteinen wie auch den verganglichen em. pirischen Dingen, gemeinsam ist, prasentiert Prasastapada -- in systematisierender Zusammenfassung von Angaben, die sich weitgehend schon im Text der Sutren finden 7 - eine als Definition dienende Auf. zahlung gemeinsamer Attribute (sadharmya): 1. draryatvayoga, ,,Verbindung mit (dem Universale) Substanztum", d. h. das gemeinsame Vorliegen der generischen Bedingung fur die An. wendung des Wortes dravya und fur die Identifizierung aller Substanzen als Substanzen. -- Es ist, in einem Sinne, der in seinen Konsequenzen noch zu verfolgen sein wird, kein blosser Zufall, dass dravyatvayoga, nicht einfach draryatva, als Gemeinsames aller Substanzen (dravya) genannt wird: Prasastapada prasentiert und klassifiziert abstrakte untrennbare Attribute (dharma) der kategorialen Weltfaktoren (padartha); dravyetvs ware jedoch, als samanya, selbst ein padartha, ein ,,trennbarer" Weltfaktor und auf der gegenwartigen, nicht-hypostasierenden Ebene der Analyse und Abstraktion nicht am Platze; diese Ebene ist von der viel starker realistisch-hypostasierenden Ebene, auf der die ,,Kategorien", als trennbare Weltfaktoren, prasentiert werden, wohl zu unterscheiden. vato draryasya gundrambhal karmagund agunan. Auch erscheint sie relativ fruh schon in der Kritik der Gegner (z. B. Yuktidipik&, ed. R. C. PANDEYA, Delhi usw. 1976, 51, mit Bezug auf die zitiorte Stelle). - Spater muss die Lehro gegenuber dem Einwand verteidigt werden, sie sei mit der Bestimmung der Substanz als gunavaut bzw. gundoraya nicht zu vereinbaren; vgl. Vallabha, Xyayalilavati, ed. HARIHARA SASTRI/DHUNDHIRAJA SASTRI (Benares 19271934; Chowkhamba Sanskrit Ser.) 752 ff. - Zu erinnern ist hier auch an das Entstehen" von Qualitaten wie Zahl (samkchyd) unter dem Einfluss der apekpdbuddhi. 1 PB 20; zu vergleichen ist vor allem VS: I, 1, 8ff. (V9 I, 1, 9ff.). Vgl. W. HALBTASS, Conoeptualizations of 'Being in Classical Vaibegika, WZKS 19 (1975) 183-198. Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaibesika 151 2. svatmany arambhakatva, d. h. das Vermogen, ,,in sich selbst" zum Ausgangspunkt von Produkten zu werden, und das bedeutet, Wirkungen hervorzubringen, die in der Substanz inharieren. 3. gunavattva, d. h. die allen Substanzen gemeinsame Bedingung, Befindlichkeit, etwas zu sein, das Eigenschaften, Qualitaten ,,hat" (in einem Sinne von ,,haben", der alsbald naher zu erortern sein wird). 4. karyakaranavirodhitva, d. h. die Tatsache, dass Substanzen mit ihren eigenen Wirkungen bzw. Ursachen nicht in Konflikt geraten, dass in ihrem Falle Materialursachen und materiale Wirkungen koexistieren konnen. Als funftes gemeinsames Charakteristikum wird antyavisesavattva, das ,,Haben von letzten Besonderheiten", genannt; dies kann sich jedoch nur auf die ewigen Substanzen beziehen und ist somit nicht auf eine Stufe zu stellen mit den vorgenannten vier Charakteristika, die allen Substanzen gemeinsam sind. Sachlich gehort es offensichtlich mit der folgenden Feststellung - anasritatvanityatve ca-anyatra-avayavidravyebhyah - enger zusammen. Zu erinnern ist ferner daran, dass Prasastapada eine Reihe von abstrakten Attributen (dharma) aufzahlt, die neben den Substanzen auch allen anderen Weltfaktoren (padartha) gemeinsam sind -- beginnend mit den drei umfassendsten Gemeinsamkeiten ,,Ist-heit" (d. h. ontologische Bestimmtheit), Erkennbarkeit, Benennbarkeit (astitva, jneyatva, abhi. dheyatia). Fur unsere folgenden, vor allem dem Verhaltnis von dravya und guna gewidmeten Erorterungen steht die Bestimmung gunavattva im Mittelpunkt. Was wir zum ersten gemeinsamen abstrakten Attribut aller Substanzen, dravyatvayoga, bemerkten, ist in analoger Weise auch hier zu beachten: gunarattva darf nicht einfach mit guna gleichgesetzt wer. den *; denn das wurde zu einer Konfusion der beiden erwahnten, von Prasastapada zwar nicht wirklich thematisierten, de facto gleichwohl sorgfaltig geschiedenen Ebenen der Analyse fuhren. Die Qualitaten (guna) selbst sind; als padartha, ontologisch unterschiedene Faktoren, Konstituentien der wirklichen Welt, die den Substanzen (dravya) hinzugefugt, als Entitaten und Bestimmungstrager (dharmin) eigenen Rechts an die Seite gestellt werden. Was den Substanzen dergestalt als etwas Zusatzliches hinzugefugt wird, kann offenkundig nicht in dem Sinne zu ihrem eigenen Sein und Wesen gehoren, dass es in einer definitorischen Aufzahlung von gemeinsamen Attributen fungieren konnte, die ja eben dazu >> Vgl. hierzu NK 21. PB 16. aloo hier * Man darf also hier keineswegs nach dem spater formulierten Sats taduattvarp tot verfahren. Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 152 WILHELM HALBTASS dient, die Substanzen gegenuber den Qualitaten und allen anderen ,,usatzlichen" Weltfaktoren abzugrenzen. Was den Substanzen in ihrem Substanzsein gemeinsam ist, ist die Tatsache, dass sie Qualitaten ,,haben"; dies ist eines ihrer gemeinsamen abstrakten Attribute (sadharmya), das ihrem Eigenwesen nicht, wie die Qualitaten selbst, als etwas Zusatzliches hinzugefugt und das somit auch nicht von ihnen abgezogen werden kann. -- Entsprechend wird auch in den Abschnitten des Padartha dharmasamgraha, die die neun Substanzen bzw. bestimmte Substanzengruppen im einzelnen definieren und charakterisieren, auf das jeweilige ,,Haben" von, Bezogensein auf bestimmte Qualitaten verwiesen (in der Regel durch das Affix -vat), ohne dass damit die Qualitaten in das eigene Sein der Substanzen hineingenommen wurden. Die Substanzen sind durch ihre Eigenschaften bestimmt und doch zugleich von ihnen verschieden. Dass eine Substanz Eigenschaften hat", fallt nicht mit diesen Eigenschaften selbst zusammen; Eigenschaften zu haben, gehort zum eigenen Sein der Substanzen; die Eigenschaften, Qualitaten behalten gleichwohl ihr eigenes Sein - Sein sowohl im Sinne des umfassendsten abstrakten Attributs astitva wie auch im Sinne des hochsten Universale satta. Das in der Substanz als ihr untrennbarer dharma liegende Bestimmtsein durch Qualitaten erscheint insofern von diesen getrennt, und es kommt zu einer eigentumlichen Doppelbodigkeit des Verhaltnisses von Bestimmungstrager und Bestimmung, zu seiner Verteilung auf die beiden genannten Ebenen der Analyse. - Die Schwierigkeiten des Verhaltnisses von Substanz und Qualitat, von ,,Sein" und ,,Haben" sind dadurch offenbar nicht gelost; sie sind nicht einmal wirk. lich zum Thema gestellt: Sie sind lediglich durch einen impliziten semantic ascent umgangen. Es ist deutlich, dass Prasastapadas Verfahrensweise mit der histo rischen Situation seines Philosophierens zusammenhangt und auf einer eigentumlichen Verschrankung zweier verschiedener Reflexionsstufen und Orientierungsweisen beruht. Einerseits vertritt Prasastapada ein unmittelbar weltorientiertes kosmologisch-naturphilosophisches Erbe, andererseits fersucht er sich einzustellen auf eine funktional-begriff liche, nicht hypostasierende Denkweise, wie sie vor allem in der gram. matisch-sprachphilosophischen Tradition entwickelt worden ist und, in anderer Blickrichtung, die Polemik der Buddhisten beherrscht. Entsprechend erscheint die Substanz (dravya) als Bestimmungstrager in zweierlei Sinn und Kontext: * Vgl. PB 24ff. u S. o., Anm. 28. Nach W. V. QUINE, Word and Object (Cambridge, Mass. 1960) 270ff. Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaibesika 153 1. Substanz als ,,Trager" in kosmologisch-naturphilosophischem Sinne (asraya), als ,,Ursache" ihrer Qualitaten, als Substrat and ontologisch trennbarer ,,Inhaber" zusatzlicher Entitaten. 2. Substanz als ,,Trager" in bloss funktionalem Sinne (dharmin), als logisches Subjekt ihres eigenen, von ihr selbst nicht trennbaren Bestimmtseins. (In diesem Sinne sind auch die gunas und ubrigen ,,Kategorien" Bestimmungstrager, dharmin; in der Philosophie der Grammatik, zumal bei Bhartphari 37, wird der Terminus drarya selbst in dieser offenen Bedeutung gebraucht.) Als asraya liegt die Substanz den ubrigen Kategorien (kosmologisch) zugrunde; als dharmin ist sie ihnen (logisch-ontologisch) nebengeordnet: So ergibt sich das Paradox, dass sie ihre Bestimmungen als etwas ausser ihr Seiendes hat und gleichzeitig auch ohne" sie bestimmt ist. Dieses durch die Verteilung auf zwei Ebenen des Bestimmtseins scheinbar um. gangene Paradox reflektiert, wie gesagt, eine durch Prasastapadas historische Situation gegebene philosophische Aufgabenstellung: Etablierte, d. h. von einer ursprunglich naturphilosophischen Tradition akzeptierte Qualitaten usw. sollen als Entitaten eigenen Rechts, als kosmologische Faktoren bewahrt und im Kontext logisch-funktionaler Argumentation verteidigt werden. Die naheliegende (wenn auch von Prasastapada viel weniger als von anderen genutzte) Moglichkeit, die Trennbarkeit der Bestimmungen durch Hinweis auf sprachliche Sachverhalte (Subjekt. Pradikat-Struktur, Possessivkonstruktionen usw.) zu stutzen", erweist sich dabei zugleich als grosse Gefahr, indem sie die naturphilosophisch. ,,kategoriale" Klassifikation verschiedener Entitaten auf die Ebene allgemeiner Pradikationsproblematik (und ins offene Feld der mit dem Terminus risesanavisesyabhava bezeichneten Bezuge) projiziert und einem potentiell uferlosen Reflexionsprozess aussetzt. Hier gilt es, Grenzen zu ziehen, die Hypostasierung beliebiger Pradikate, die Abtrennung beliebiger Bestimmungen auszuschalten, welche zur Fatalitat des regressus in indefinitum (anavastha) und zur Unbestimmbarkeit des Bestimmungstragers als solchen fuhren wurde %0. * Vgl. Anm. 21 und 26. >> Zur funktionalen Bestimmung von dravya bei Bharthari vgl. K. A. SUBRAMANIA IYER, Bhartshari (Poona 1969) 78 ff.; 262 ff. * Dieses Verfahrens bedient sich u. a. Uddyotakara, NV 79ff. (zu NS I a 14; = NV: 421f.); zur Kritik vgl. z. B. Yuktidipika, ed. R. C. PANDEYA (Delhi usw. 1967) 62; sowie TS, v. 570: papfivacanabhedadi vioakpamatresambhavi ... * Es ist hier zu betonen, dass die Unterscheidung von dharma und guna nicht als Versuch zu verstehen ist, das Wesen eines Dingos von seinen akzi. dentiellen Attributen zu unterscheiden und auf diese Weise die Substans Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ * 154 WILHELM HALBTA88 IV. Die Spannungen und Probleme, die in Prasastapadas Konstruktion eher verdeckt als gelost sind, werden von den Kritikern des Systems. ror allem von den Buddhisten, deutlich ins Licht geruckt, und in ihrer Er. widerungen sind die Vaisesika-Kommentatoren ihrerseits genotigt, offener und entschiedener dazu Stellung zu nehmen. - Es ist vor allem die logisch-erkenntnis huretische Ebene, auf der die Buddhisten den Begriff der Substanz bekiranfen; und in seiner Verteidigung lassen sich auch die Autoren des Nyav> und des Vaisesika immer nachdrucklicher auf diese Coene der Argumentation ein. Dr (edsake, dass die Erkenntnis, speziell die Wahrnehmung des Die Dinges die Erkenntnis seiner Bestimmungen voraussetze, ben is Vaisesika eine alte Tradition zu haben und liegt jedenfalls dem ahostagstheoretischen Abschnitt im 8. Adhyaya des Vaisesikasitz. razrunde 4. Ob und in welchem Sinne Bestimmungen und Bestim. Tosirager als tatsachlich trennbare Wahrnehmungsdaten aufgefasst erdia guht aus diesem Abschnitt jedoch nicht hervor, und die Frage, i wie reit die Substanz als solche und ohne" ihre Qualitateni usw fabbar werde, wird offenbar nicht gestellt. Eine Substanz wird , im Fairclick auf" (apeksam) ihre Bestimmungen, als durch sie qualifiziert, spezizir-rt wahrgenommen, und die Bestimraungen erweisen sich dabei als Derim. mungen der Substanz. Insofern wir Weissheit bzw. weisse Farbe geben, sehen wir auch eic weisses Ding Farbe (rupa) ist Becingung des Sehens der Substanz", die in ofern zwar in ihrer Substantis sat, jud ch stets auch in ihrer Farbik als arch ihre Farbe qualifizierta, ia die Wahr. nehmung eintit:... "232 ch, Lier ein gleichsam pur substanzdatum selbst", als dur . **Akonstituiert, von dem zu nen, ku irgendwie sonst hinzom" kuinen Begriff der ,,substacuice on im Vaigesika Prasa Aber auch e. 2. Anata: zur grundsatzlichen Fisge der Trennung und Sebenordnung e n sen und ubrigen Kategori vgt. Skara zu Brahmasutra II, 27. 4 VS 1,2 VIII. 1,4 : comayeviasi prekum dravyaguna armast; 7: drarye draryagunakurr dot - NK :99: vibesyajnanam hi vif sonundnasya phalam, vitevar, 1 an phalam.... Vgl. ferna: VS. II, 2, 19 sowie dazu D. 0.2 .2 Ind. and Buddh. 8t 23/2 (1975), 96-104. . 4 Vgl. VS. ..) . Avuitydc chvaityabrdr. #cete bud. dhis te karya! + VSV, la rattvad rupdc ca-upokalda. Es ist hier dare 19Folts dorer sinnlicher Qualitaten, Ceruch usw., de 3 5 let" nicht wahrnehmbar, sondern nur er. uchlieb W tihl (epart) allein fuhrt nicht zur Substanz als Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaibesika 155 zu isolieren oder den blossen Bestimmungstrager als Gegenstand eines separaten Wahrnehmungsaktes zu erweisen, wird nicht unternommen. Auch bei Prasastapada finden wir in dieser Hinsicht keine wirklich explizite und eindeutig festlegbare Stellungnahme. Zwar scheint seine Bemerkung, dass es im Falle der Substanz (naturlich als arayarin) eine ,,blosse Anschauung des Eigenwesens" (svarupalocanamatra) gebe", anzudeuten, dass er innerhalb der Dingwahrnehmung bzw. als eine ihrer Phasen ein Erfassen der blossen Substanz als solcher annimmt. Jedoch uber den genaueren Sinn der ,,Anschauung des Eigenwesens", uber den tatsachlichen Inhalt und die mogliche Trennbarkeit des als ,,blosse Substanz", als Bestimmungstrager Erfassten wird nichts gesagt. Sicherlich durfen wir kaum annehmen, dass der sorgfaltige Systematiker Prasastapada, nachdem er im Einklang mit Vaibesikasutra IV, 1, 6 die Qualitat Farbe (rupa) als Bedingung des Sehens von Substanzen herausgestellt hat, im selben Atemzug ein Gegebensein der Substanz auch ohne diese seine Bedingung behaupten wolle". Prasastapadas Lehre von der Substanzwahrnehmung, soweit sie uns im Padarthadharmasamgraha zuganglich ist, bleibt im ubrigen auch in. sofern ambivalent, als sie die kausale Erklarung des Wahrnehmungsvorgangs und die immanente Deskription und Analyse der Wahrnehmungsinhalte, also ,,aussere" Bedingungen und innere" Gegebenheiten, nicht klar auseinanderhalt. In einigen Kommentaren und anderen zugehorigen Texten tritt die Problem verschlingung freilich scharfer und folgenreicher hervor als bei Prasastapada se!bst". - Hinsichtlich der Rolle von rupa lasst sich die Doppeldeutigkeit folgendermassen formulieren: Einerseits scheint es darum zu gehen, das dann, wenn man uberhaupt ein Ding sieht, stets auch Farbe als Wahrnehmungsinhalt gegenwartig sein musse, an. solcher; vgl. VS. IV, 1, 8: rupamamskarabhavad vayav anupalabdhih; zum Pro. blem der Erschliessung des Windes II, 1, 8 ff. Nur im Falle solcher Dinge, die auch sichtbar sind, kann von einem Fuhlen der ,,Substanz selbst" die Rede. sein. Vgl. aber Vy. 270 ff., bes. 273. 44 Vgl. PB 186--188. - Ich kann mich in diesem Zusammenhang kurz fassen, da Prasastap&das Wahrnehmungslehre in jungster Zeit mehrfach diskutiert worden ist; vgl. M. HATTORI, Two Types of Non-Qualificative Perception. Beitrage zur Geistesgeschichte Indiens, Festschr. E. Frauwellner (=WZKS 12/13, 1968/69) 161-169; dazu L. SCHMITHAUSEN, Zur Lehre von der vorstellungsfreien Wahrnehmung bei Prasastapada, WZKS 14 (1970) 125-129. u Es durfte ein Gebot der Vorsicht sein, Prasastapadas Darstellung nicht ohne weiteres durch die im folgenden noch zu diskutierenden (8. u., Abschnitt VI) Argumente Aviddhakarnas und anderer zu erlautern. Wir durfen naturlich nicht vergessen, dass es im realistischen Kontext des Systems keinen Begriff der Bewusstseinsimmanenz und kein wirkliches Problem des Ubergangs zu ,,extramentalen" Bewusstseinskorrelaten gibt. Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 156 WILHELM HALBTASS dererseits darum, dass der Wahrnehmungsvorgang nicht stattfinden konne, wenn Farbe nicht als Faktor in dem ihn verursachenden Kausalkomplex vorkomme7Diese Doppeldeutigkeit wird keinesfalls dadurch ausgeraumt, dass Prasastapada durchaus sorgfaltig zwischen Erkenntnis. mittel (pramana) und resultierender Erkenntnis (pramiti) unterschei. det " -- Allgemein ist bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern, dass es im alteren Nyaya und Vaisesika uberhaupt nicht zu einer deutlichen Unterscheidung zwischen auslosenden Faktoren und tatsachlich aufweisbaren Daten des Erkennens kommt; erst die erkenntniskritische, am ,,Gegebenen" orientierte Argumentationsweise der Buddhisten zwingt dazu, diesen Unterschied ernster zu nehmen. Was nun die ,,blosse Anschauung des Eigenwesens" (svarupalocanamatra) der Substanz selbst angeht, so scheint es zwar, dass Prasasta pada sie als ein bewusstseinsinhaltlich fabbares Resultat derjenigen kausalen Faktoren versteht, die den Wahrnehmungsvorgang herbeifuhren. Jedoch was da vorgeblich angeschaut wird, wird weder in seinem Inhalt noch in seiner Funktion naher bestimmt. - Schon der Ausdruck svari. palocana legt die Assoziation mit bestimmten und ihrerseits bestimmenden Inhalten nahe, und in der Tat hat der Terminus bei Prasastapada seine genuine Funktion in der Anwendung auf samanyavisesa, als Bestimmungen (risesana) von Bestimmungstragern. Diese Anschauung von Be. stimmungen ist es, die in der Wahrnehumng des bestimmten Gegenstan. des, des durch seine Bestimmungen bestimmten dravya usw. resultiert . Diese ,,resultierende Erkenntnis" (pramiti) des bestimmten, d. h. als Trager seiner Bestimmungen erfassten dravya kann und soll offenbar nicht dieselbe sein wie das zuvor erwahnte svarupalocanamatra; im Gegenstandsbezug beider kann gleichwohl kein Unterschied bestehen 61. Die ,,blosse Anschauung" der Substanz selbst ist nur unzureichend in den Kontext integriert; sie bleibt inhaltlich unbestimmt und ist de facto * Vgl. PB 186: ... udbhutarupaprakasacatupayasannikarpad dharmd. disamagrye ca... 4 PB 187; vgl. auch Vyomasivas Unterscheidung von alocana und alo. citi, Vy. 560--561. ** Vgl. den oben, Anm. 44, genannten Aufsatz von L. SCHMITHAUSEN. * Vgl. PB 187: tatra samanyavisesepu svarupalocanamatram pratyaksam pramanam, prameya dravyddayah padarthah, pramald-atmd, pramitir dravyddiri ayam jnanam samanyavicepajnanot pattdv aribhaktam alocanamatram pratyaksam pramanam, asmin na-anyat pramanantaram asti, aphalarupalvdt. 1 Zur Entwicklung der hier relevanten wahrnehmungstheoretischen Problematik von ,,vorstellungsfreier" bzw. ,,nicht-pradikativer" (nirvikal. paka) und ,,vorstellender", ,,pradikativer" (aavikalpaka) Wahrnehmung vgl. B. GUPTA, Die Wahrnehmungslehre in der Nyayamadjari (Bonn 1963), 69ff.; 97ff. Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaisesika 157 kaum zu trennen von dem, was als einer ihrer auslosenden Faktoren gilt - dem Kontakt (samnikarsa) mit dem Gegenstand, der selbst noch nicht als inhaltliches Gewahrwerden zu verstehen ist 62. Auf der anderen Seite ist es schwer, diesen samnikarsa von dem avibhaktam alocanamatram zu trennen 5s, das gegen Ende des wahrnehmungstheoretischen Abschnitts als Mittel fur die Erkenntnis des als Bestimmung (visesana) fungierenden samanyavisesa prasentiert wird. Dies jedenfalls ist Sridharas Ausweg: Das avibhaktam alocanamatram wird mit dem ,,Kontakt" zwischen Gegenstand und Organ der Erkenntnis ohne weiteres identifiziert. Mag dies auch nicht als authentische Interpretation Prasastapadas gelten durfen, so ist es doch eine aufschlussreiche Weiterfuhrung und steht jedenfalls nicht im Widerspruch zu Prasastapadas Ausserungen 54. Der von Prasastapada und Sridhara verwendete Begriff des samnikarsa geht in seinen Ursprungen offenbar auf eine Zeit zuruck, die der Zerlegung der Welt und der Dinge in ,,Kategorien" und einer entsprechenden thematischen Behandlung des Problems der Bestimmtheit vorausliegt: Der samnikarsa ist deshalb zunachst im Sinne eines Kontaktes mit ohne weiteres vorausgesetzten konkret-bestimmten ,,ganzen" Dingen zu verstehen. Nach Einfuhrung der Kategorienlehre jedoch wird diesem einfachen Denkmodell der Begriff des dravya als Substrat und Bestim. mungstrager unterlegt, und als unmittelbares Korrelat des Kontaktes gilt nunmehr die ,,blosse Substanz", der asraya 55. Hier schliesst sich die scholastische und in ihrem starren Schematismus leicht durchschaubare Lehre an, derzufolge die Wahrnehmung der Substanz durch einfache ,,Verbindung" (samyoga) geschieht, die der Qualitat durch ,,Inharenz im Verbundenen" (samyuktasamavaya), usw. 56. Der samnikarza wird also den Kategorien gemass aufgefachert; dabei erweist sich jedoch, dass das vordem selbstverstandliche Korrelat der ,,einfachen" Verbindung, drapya, in erkenntnistheoretischer Hinsicht hochst problematisch ist und sich inhaltlich nicht fixieren lasst. - Zunachst hatte man wohl gemeint, die :51 Den Ausdruck alocanamdira verwendet auch SamkhyakArika, v. 28; die Yuktidipika paraphrasiert grahana. - Dass das ,,vorstellungsfreie" (nirvikalpaka) Wahrnehmen nicht einfach in unserem Wahrnehmungsbewusstsein feststellbar, sondern statt dessen nur erschliessbar sei, wird von mehreren Autoren eingeraumt; vgl. z. B. Vy. 557: sadbhave (sc. nirvikalpakajndnasya) kir pramanam ! savikalpakajnanot pattir eva; vgl. auch B. GUPTA, &. a. 0. 736. S. o., Anm. 60. * Vgl. NK 198: alocyate 'nena-ity alocanam indriyarthasannikarpos lanmdiram, avibhaktam kevalam jnananapekpam iti yavat ...; 199: ato vibepanajnane indriyarthasannikarpamatram eva pramanam ity arthah. * Vgl. PB 186: ruparasagandhasparsepu anekadravyasamardydd wagata vibeple soderayasannikarpan niyatendriyanimittam utpadyate. * Vgl. NK 195. Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 158 WILHELX HALBTASS ,,Substanz selbst" lasse sich aus dem Bestimmtheitskomplex, der das konkrete Ding ist, ebenso herausschalen, wie sich -- einem beliebten Bei. spiel zufolge - der Mann, der den Stock tragt, aus dem Bestimmtheitskomplex ,,Stocktrager" (dandin) herauslosen lasst. Diese und andere Beispiele prasentieren den Bestimmungstrager als ein seinerseits durchaus bestimmtes Ding, dem weitere Bestimmungen hinzugefugt werden kon. nen und das von solchen Bestimmungen sozusagen eine zusatzliche ,,Far. bung" empfangen kann 57. Dass der Begriff und die Wahrnehmbarkeit der ,,blossen Substanz" als solcher auf diese Weise nicht zu erlautern und nicht zu verteidigen sind, wird in der Auseinandersetzung mit den Buddhisten jedoch alsbald deutlich. Das svarupalocanamatra der Substanz als solcher, das Prasastapada offenbar als erstes und unmittelbarstes Resultat des Kontaktes mit dem Gegenstand sowie der ubrigen erforderlichen Kausalfaktoren postuliert, wird auch von seinen Kommentatoren nicht wirklich prazisiert oder er. lautert, mag es auch durch die mittlerweile voll entwickelte termino logische Unterscheidung von ,,pradikativer" (savikalpaka, oft mit ,,vor. stellend" ubersetzt) und ,,nicht-pradikativer" (nirvikalpaka, ,,vorstel. lungsfrei") Wahrnehmung paraphrasiert werden. Stattdessen nimmt man u. a. wiederum einen zumindest impliziten Bezug auf die Vorstellung des konkret-bestimmten ,,ganzen" Dinges, die inzwischen, vor allem durch Kumarila, begrifflich und thematisch etabliert worden ist und die als dasjenige verstanden werden kann, das im ,,blossen Anschauen" zwar als Ganzes, jedoch vage und undifferenziert gegeben sei 54. Dabei kommt eino Ambivalenz in der Verwendung von visesana zustatten, das einerseits als zum Bestimmungstrager hinzutretende Bestimmung, andererseits als 57 Zu diesem Begriff der Farbung" (anurdga u. dgl.) vgl. B. GUPTA a. a. 0. 69 ff.; bes. 98 ff., 115f.; den von GUPTA S. 69, Anm. 165 parallelisierten Stellen aus Jayanta und Dignaga ware auch unsere Prasastapada-Stelle (bes. 1861..) an die Seite zu stellen. Vgl. Vaoaspati zu NS I, 1, 4 (ND: 232): wabhavo hi dravyasya upddhibhir vibigyate, na tu-upadhayo ud tair vidippatvam od tasya rabhavah. " Dies kommt, wenn auch wohl eher unabsichtlich, ins Spiel, wenn Sridhara bemerkt, der Gegenstand (artha), mit dem ja der Kontakt (samni. karpa) stattfindet, sei zwar stets ein bestimmter (visista), werde zunachst (prathamam) jedoch nicht als solcher erfasst (NK 193--194). Im ubrigen lauft auch die NK 189 gebotene Interpretation des svarupalocanamdtra der Substanz darauf hinaus, dass es nicht um ein isolierbares Erfassen des Bestimmungstragers, sondern um ein zunachst nicht differenzierendes Erfassen des konkreten Ding-Ganzen geht. Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaisesika innerhalb eines Ganzen stattfindende Differenzierung ausgelegt werden kann. Dies mag ein naheliegender Ausweg aus der von Prasastapada hinterlassenen begrifflichen Situation sein; das von ihm postulierte Anschauen der Substanz rein als solcher wird dadurch jedoch nicht erklart. Und fur eine wirklich eindeutige und bewusstseinsinhaltlich fassbare Erklarung gibt Prasastapada, wie wir gesehen haben, ja auch keine Handhabe. Das svarupalocanamatra der Substanz als solcher ist und bleibt ein hypothetisch angenommenes Moment im Wahrnehmen, fur das er in Passagen mit eher deskriptiv-psychologischem Charakter keinerlei Verwendung hat. So kommt z. B. in Prasastapadas Beschreibung des vom ,,,unbestimmten Erfassen" (anadhyavasaya) zum ,,Feststellen" (adhyavasaya) fuhrenden Prozesses der Erkenntnisbestimmung die,,Substanz selbst" uberhaupt nicht vor. Auch in diesem Zusammenhang verwendet Prasastapada den Ausdruck alocanamatra: In Hinsicht auf vertraute wie auch auf unbekannte Gegenstande gibt es ein,,unbestimmtes Erfassen", d. h. ein,,blosses Anschauen", das sich in der Frage,,Was (ist das)?" aussert (kimityalocanamatra). Daran anschliessend wird eine Reihe immer engerer Bestimmungsfaktoren aufgezahlt, die vom hochsten Universale (samanya), Sein im allgemeinen (satta), zum speziellen samanyavisesa einer Baumspezies, namlich panasatva, fuhrt. Wir durfen hier auch wiederum daran erinnern, dass Sridhara das ,,,ungesonderte blosse Anschauen" (avibhaktam alocanamatram), welches nach Prasastapada als Mittel fur das Erkennen des als Bestimmungsfaktor wirksamen samanyavisesa dient, als Kontakt (samnikarsa) zwischen Objekt und Organ interpretiert. Entsprechend legt er in demselben wahrnehmungstheoretischen Abschnitt dar, wie durch mehr oder weniger engen ,,Kontakt" mit dem Objekt (etwa beim Sehen aus der Ferne) jeweils engere oder weitere Universalien (samanya, samanyavisesa) als Erkenntnisinhalte ausgelost" werden, wobei dem blossen unspezifizierten Kontakt als solchem offenbar das hochste Universale Sein (satta) entspricht. Die,,Substanz selbst" als vorgeblicher Trager dieser Bestimmungen (visesana) kommt dabei als Erkenntnisinhalt uberhaupt nicht ins Spiel. 159 "Eine Ambivalenz, die sich offenbar in die genannte Stelle NK 193-194 eingeschlichen hat (... visesanadigrahanasya sahakarino 'bhavat ...). "PB 182; zu adhyavasaya vgl. NS II a 1 ff. Vgl. NK 189 (samanyam hi bahuvisayatvat svaerayasya caksuhsannikarsamatrena-upalabhyate...) sowie die oben, Anm. 54, zitierte Stelle. - Wir durfen hier-zur allgemeinen thematischen Orientierung und ohne Anspruch auf aktuelle Zusammenhange - daran erinnern, wie etwa Mandana das Seiende rein als solches (sanmatra) als Objekt der vorstellungsfreien Wahrnehmung prasentiert und in dieser Funktion mit dem blossen Ding als solchem (vastumatra) zusammenfallen lasst; vgl. Brahmasiddhi, ed. S. KUPPUSWAMI SASTRI (Madras 1937) 58; 71. Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 160 WILHELM HALBTASS In der Tat ware es in Prasastapadas System ganz unzulassig, eine Erkenntnis dadurch als unbestimmt zu kennzeichnen, dass man ihr die ,,Substanz allein", d. h. den blossen Bestimmungstrager, als Inhalt zu. weist. Die Substanz ist zwar, insofern sie Substrat (asraya) von guna, samanya usw. ist, Bestimmungstrager; aber sie ist, entsprechend der oben (vgl. Abschnitt III) diskutierten ,,Doppelbodigkeit" des Substanzbegriffs, deshalb doch keineswegs unbestimmt, und sie ist auch kein ,,blosses Etwas" oder bare particular. Auch als ,,Substanz allein" ist sie ein dharmin, hat ein Bestimmtsein sui generis, welches freilich, als ihr Eigenwesen (svarupa), von ihr selbst ganzlich untrennbar ist. In diesem Sinne musste auch das svarupalocanamatra der Substanz selbst, wie es sich vor dem Erfassen der ubrigen, als pradikative Bestimmungen hinzu. tretenden Kategorien darstellt, bereits sein eigenes Bestimmtsein auf. weisen. So sind wir wiederum angelangt bei dem, wie wir feststellten, durch die Verteilung auf zwei Ebenen des Bestimmtseins und durch einen semantic ascent scheinbar umgangenen Paradox, dass die Substanz ,,ihre Bestim. mungen als etwas ausser ihr Seiendes hat und gleichzeitig auch ,ohne' sie bestimmt ist"es. -Auch fur das Verstandnis seiner wahrnehmungstheoretischen Rolle ist diese implizite ,,Doppelbodigkeit" des Substangbegriffs zu berucksichtigen. VI. Was wir bei Prasastapada nicht fanden, namlich den Versuch, die ,,Substanz selbst" als besonderen, von den Qualitaten trennbaren und sogar ganz ohne sie fabbaren Wahrnehmungsinhalt deskriptiv und phanomenologisch aufzuweisen, finden wir bei einigen etwa derselben Periode angehorenden Naiyayikas, namentlich bei Aviddhakarna, Bhavivikta und Uddyotakara. Zum Abschluss unserer Erorterungen sei noch auf einige thematisch aufschlussreiche Gesichtspunkte ihrer z. T. nur aus der buddhistischen Polemik, bekannten Argumentation hingewiesen. Zunachst Uddyotakara. Unter den Argumenten, mit denen er im Nyayavarttika den Substanzbegriff gegen die Kritik der Buddhisten, zumal gegen die erkenntnistheoretische Reduktion der Substanz auf ihre wahrnehmbaren Qualitaten, verteidigt, findet sich auch das folgende Beispiel: Wenn ein Kristall sich in der Nahe eines dunkelfarbigen Gegen. standes befindet, dann sehen wir zwar den Kristall selbst, jedoch, inso a Zu diesem Begriff vgl. Universals and Particulars, od. M. J. Loux (New York 1970) 235ff. S. o., Abuchnitt III. Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 161 Substanz (dravya) im Vaisesika fern er die dunkle Tonung des Gegenstandes ubernimmt, ohne seine ihm eigene, namlich helle Farbe". Spater wird das Argument wiederholt und ein weiteres hinzugefugt: dass man in der Dammerung Vogel im Fluge sehen konne, ohne dass man ihre Farbe sieht. Diese Argumente werden in Santaraksitas Tattvasamgraha und im zugehorigen Kommentar von Kamalasila angefuhrt und widerlegt. Als weiteres im Nyaya verwendetes Argument wird u. a. das Beispiel eines in einem Harnisch stekkenden Mannes genannt, der, auch ohne dass man seine Farbe sehen konnte, als Mensch aufgefasst wird. Die in diesem Zusammenhang namentlich genannten Nyaya-Autoren sind Uddyotakara und Bhavi. vikta. In seinem Kommentar Vipancitartha zu Dharmakirtis Vada. nyaya verweist Santaraksita ferner auf Aviddhakarna und schreibt ihm die These zu, dass es insofern ein Erfassen der Substanz ohne ihre Farbe und sonstigen Qualitaten gebe, als ja bei schwacher Beleuchtung eine Substanz auch ohne Wahrnehmung ihrer Farbe usw. vage als Kuh oder Pferd wahrgenommen werde", Uber die Unzulanglichkeit dieser Argumente im Disput mit den buddhistischen Erkenntniskritikern ist kaum ein Wort zu verlieren. Vom Ding-Phanomen, vom in der Wahrnehmung Gegebenen ist (besonders deutlich im Kristall-Beispiel und im Beispiel des Mannes im Harnisch) uberhaupt nicht die Rede; es geht lediglich darum, dass ein Ding auch ohne seine ihm normalerweise zukommende Farbe erscheinen kann. Nur, wenn man schon akzeptiert hat, dass es ein solches substantielles, physisch-objektiv vorhandenes Ding mit einer bestimmten ihm objektiv zugehorigen Farbe gibt, hat der Hinweis auf ein Sehen ohne diese seine Farbe Gewicht 68. Was den Argumenten, in einem erkenntnisdeskriptiv nachvollziehbaren Sinne, offenbar zugrunde liegt, ist die Trennung zwischen der Gestalt und der Farbe usw. eines Dinges, also sozusagen die Trennung von primaren" und ,,,sekundaren" Qualitaten. Die in der Wahrnehmung auch ohne,,ihre" Farbe usw. fassliche Gestalt wird als das Erscheinen der Sub NV 421). 4 NV1 78f. (zu NS I a 14; 45 NV1 351 (zu NS III a 1). "Vgl. TS, v. 556 ff.; v. 557: kancukantargate pumei tadrupadyagatao api purusapratyayo drsto... 7 Dharmakirti's Vadanyaya with the comm. of Santaraksita, ed. R. SANKRTYAYANA (Appendix to Journal of the Bihar and Orissa Res. Soc., vols. 21-22, 1935-1936) 35: aviddhakarnas tv aha rupadyagrahe 'pi dravyagrahanam asty eva, yato mandaprakase 'nupalabhyamanarupadikam dravyam upa. labhyate 'niscitarupam gaur asvo va-iti. S. u., Anm. 71. "Im ubrigen ist es ein naheliegender Einwand, wenn TS, v. 566 erklart, dass die Erkenntnis des Mannes im Harnisch (s. o., Anm. 66) lediglich eine auf Schlussfolgerung beruhende (anumanika) sei. Page #22 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 162 WILHELM HALBTA88 stanz selbst in Anspruch genommen. Eben dies ist einer der Punkte, an denen die buddhistische Kritik einsetzt: In unmittelbarem Anschluss an das Argument Aviddhakarnas bemerkt santaraksita, dass auch in diesem Falle nichts als eine Gestalt (samsthanamatra) -- also keinesfalls eine Substanz als solche -- wahrgenommen werde. Ein entsprechender Einwand wird schon von Uddyotakara aufgenommen und diskutiert; er selbst und andere Autoren des Nyaya und Vaisesika versuchen nachzu. weisen, dass eben dieser Begriff des samsthana, sofern er uberhaupt von dem der Farbe usw. unterschieden werde, uber blosse Qualitaten hinaus und zur Substanz selbst fuhre. Und Vyomasiva, in offenkundigem Bezug auf Aviddhakarnas These oder ein ahnlich formuliertes Argument, bemerkt, dass bei sehr schwacher Beleuchtung der avayavin (und das ist ja derjenige Substanztypus, der empirisch zuganglich ist) als ,,blosse Gestalt" (sansthanamatra) wahrgenommen werden. -- Auf die Gestalt bezieht sich u. a. auch Sridhara in seiner Verteidigung des Substanz begriffs: Eine Substanz ist deshalb anzunehmen, weil wir im Wahrnehmen von Fall zu Fall besondere, individuelle Gestalten erfassen; dies konnte durch Qualitaten wie Farbe usw., die ihrem Wesen nach ganz und gar ohne solche individuelle Besonderheit sind, nicht erklart werden. Worum es hier geht, ist samsthana als partikularisierender, individualisierender Faktor: Qualitaten rein als solche sind als Prinzipien der Besonderung und Individuierung unzureichend; sie sind nicht als Individuen nomerisch identifizierbar. Eben dies freilich, dass samsthana als Basis numerischer Identitat dienen konne, wird von den Buddhisten spatestens seit Dignaga bestritten: Die Gestalt wird selbst ganzlich in den Bereich der blossen Qualitaten verwiesen. - Wir durfen in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass rupa in den alteren Texten sowohl die Bedeutung Farbe" wie auch die Bedeutung ,,Gestalt" (,,Form") umfasst; der er - A. . Q. (8. Anm. 67): nanu ca tatra-api samathanamdtram upalabh. yote; vgl. auch TS, v. 566; der dort gebrauchte Ausdruck samniveta wird von Kamalasila durch samsilanavisepa paraphrasiert. * Vgl. xV: 76f. (zu NS I a 14; = NV 419); vgl. auch Santaraksita a. a. 0. (8. Anm. 67): satyam upalabhyate (sc. samsthanam), na tu tad rupadyatmakom (als purvapakpa). n Vgl. Vy. 46: mandamandaprakase sati samsthanamdtrasya-avayavino grahanad ii. Der unmittelbar vorhergehende Text ist offenkundig verderbt; es durfte zu lesen sein: tatha ca visesanagrahanat visesyabuddher na ca-asat. tvami na ca-apy-abhedah | tatha-avayavagrahe avayavyagraho 'siddhah. " NK 41: ... pratyekavilakpanasamsthanasarvedandt, rupadisvabhavarya sarvatra-avisepdt ...; vgl. Kumarila, Slokavarttika, Vanavada 17: anyad anyac ca samsthanam pratipindam pratiyate. * Etwa in den Upanisaden und in den philosophischen Partien des Mabil bharata Page #23 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Vaibesika 163 wahnte substanztheoretische Gebrauch von samsthana bzw. akara kann also sozusagen an den frei gewordenen Teil der alten Bedeutung von rupa anknupfen, indem er ihn der Bedeutung ,,Farbe" gegenuberstellt und fur die Sicherung der ,,Substanz selbst" in Anspruch nimmt. Der Begriff des samsthana wird auch in die Lehre von der Erfabbarkeit der Substanz durch zwei Sinnesorgane (dvindriyagrahyatva) eingefugt, die in der erkenntnistheoretischen Diskussion um das Substanzthema eine wichtige Rolle spielt. Diese Lehre, auf die sich, in entsprechend modifizierter Perspektive, schon das Nyayasutra fur den Nachweis der Substantialitat des atman beruft, geht davon aus, dass die verschiedenen Elementqualitaten jeweils einem bestimmten Sinnesorgan zugeordnet sind und dass ein Gegenstand, der durch mehr als ein Sinnesorgan erfasst werden kann, seiner Natur nach von diesen spezifischen Qualitaten und von den Qualitaten uberhaupt verschieden sein muss. Spa. testens seit dem Nyayabhasya dient das Argument in expliziter Form dem Nachweis substantialer Gegenstande des Wahrnehmens. Die Substanz, insofern sie sowohl sichtbar wie tastbar ist, gilt als Bedingung der Moglichkeit des pratisamdhana, des identifizierenden Bezuges visueller und taktiler Eindrucke auf ein und dasselbe Objekt: ,,Den Topf, den ich gesehen habe, beruhre ich; eben den Topf, den ich beruhrt habe, sehe ich"75. - Bei naherer erkenntnistheoretischer Analyse konnte kaum verborgen bleiben, dass das, was hier tatsachlich als sichtbar und tastbar identifiziert werden kann, wiederum nur die Gestalt ist. Dementsprechend nimmt z. B. Sridhara das dvindriyagrahyatva-Argument mit der Bemer. kung auf, es sei eine bestimmte Gestalt (samsthanavidesa) vorauszusetzen, welche das Erfassen eines Gegenstandes durch den Gesichts- und Tastsinn verstandlich mache--- Wir durfen hier an eine mit dem Substanzproblem eng verknupfte symptomatische Episode der neueren westlichen Erkenntnistheorie erinnern - an die Diskussion um ,,Molyneux' Problem", d. h. um die Frage, ob ein Blindgeborener nach Erlangung der Sehfahigkeit eine ihm durch den Tastsinn vertraute Figur visuell zu identifizieren ver. moge; hier freilich geht es nur darum, ob eine Figur als solche visuell-taktil identifizierbar sej, nicht aber um die numerische Identitat einer Substanz ** Vgl. NS LII & 1: dardanasparianabhyam ekarthagrahandt. " NBh zu NS IV a 36 (= IV a 33 RUBEN), ND 702: yam kumbham adraksam tam spradmi, yam eva-aspraksam tam pasyami-iti; ahnlich zu III a 1, ND1 434; und in z. T. wortlichem Anschluss daran zahlreiche spatere Texte, z. B. Vy. 44 (... na ca dvobhyam indriyabhydm eldrthagrahanarp vind pratieandhanam nydyyam). * NK 41: samsthanavisepas kalpaniya), yona darsanaspartandbhydim olarthagrahanam api sidhyati. Das Problem wurde bekanntlich J. LOCOE vorgelogt und von ihm die kutiert. Page #24 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 164 WILHELM HALBTABS In den zuletzt erwahnten und mehr oder weniger deutlich auf den Begriff der Gestalt bezogenen Uberlegungen zum Substanzproblem geht es kaum noch um kosmologische Substrate oder Materialursachen: Es geht um Dinge als Individuen, als Bezugspunkte und Bedingungen numerischer Identifikation im Kontext unserer empirischen Welt 78. Und dies ist ja offenbar eine Perspektive des Substanzproblems, die dem logisch. erkenntnistheoretischen Zeitalter und dem Stil der Auseinandersetzung mit den Buddhisten entspricht. Dass diese Auseinandersetzung Kriterien und Gesichtspunkten folgt, die ausserhalb des kosmologisch-naturphilosophischen Horizonts liegen, hat unvermeidliche Auswirkungen auf den Sinn des Substanzbegriffes selbst, der nun nicht mehr ein primar kosmologisch-naturphilosophischer sein kann?'. Gleichwohl bleibt eine natur. philosophisch-enumerative Grundorientierung auch noch auf der Ebene fortgeschrittener Reflexion wirksam: Die Substanzen bleiben Entitaten neben anderen Entitaten, eine Klasse von Weltfaktoren, die andere Weltbestandteile tragen, als reale Attribute ,,haben", indem sie durch sie bestimmt und doch zugleich auch von ihnen verschieden sind. - Die kosmologische Problematik des Substrats und die logisch-erkenntnistheoretische Problematik des Bestimmungstragers werden zwar de facto in mancher Hinsicht auseinandergehalten, aber nie wirklich radikal und thematisch getrennt. Und es gibt nichts, das der aristotelischen Zerlegung des Substanzproblems in das Problem der an, als der ,,Unterlage" (UTOxeiuevov) schlechthin, und des durch ein Wesen, ein Selbstsein bestimm. ten konkreten Dinges (T6dEUR Tl) entsprache. -- Zum Begriff des konkreten Dinges, als eines seine Bestimmungen umfassenden Ganzen, gelangt das klassische Vaidesika uberhaupt nicht. Dies bleibt Denkern anderer Schu. len, zumal Kumarila und der von ihm vertretenen Richtung der Mimamsa, vorbehalten. Die Konzeption des dravya im Vai esika ist, wie wir sagten, auch fur die Kritik und Polemik noch ein wichtiger begrifflicher Katalysator: Die Schwierigkeiten und Paradoxien, zu denen sie fuhrt, tragen in nicht zu unterschatzender Weise zur gedanklichen Radikalitat und zum geschichtlichen Erfolg der Kritik der empirischen Welt bei, wie wir sie vor allem im Mahayana-Buddhismus und im Advaita Vedanta finden. " ,,Individuation" wird von A. QUINTON (8. O., Anm. 4) als erster unter vier Grundaspekten des Substanzthemas genannt. ** Der Erkenntnisbezug in der Definition des Unterschieds zwischen der Substanz und den Qualitaten usw. wird in der Tat immer ausdrucklicher; z. B. NK 15: vilakpanakarabuddhivedyatvasya-eva bhedalakpanatud ...; NM I 285: pratitibhedad bhedo 'sti ... Fur den Nyaya freilich kann an den bei Uddyotakars und Jayanta (z. B. NM 295f.) gebrauchlichen Begriff des tadvat als konkretbestimmten Dinges orinnert werden. Page #25 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Substanz (dravya) im Veisepika 165 Abkurzungen: NBh NDI ND: NK NM NS NV1 Nyayabhasya, s. NDI, ND The Nyaya-Darshana. The Sutras of Gautama and Bhasya of Vatsyayana, with two comm.... ed. GANGANATHA JHA and DHUNDHIRAJA SHASTRI (Benares 1925; Chowkhamba Sanskrit Ser.). Nyayadarsana of Gautama, with the Bhasya of Vatsyayana, the Varttika of Uddyotakara, the Tatparyatika of Vacaspati, and the Parisuddhi of Udayana (Vol. I - Ch. I). Ed. ANANTALAL THAKUR (Darbhanga 1967; Mithila Inst. Ser. Ancient Text 20). Nyayakandali by Sridhara, in: Bhashya of Prasastapada, together with the NyAyakandali ..., ed. V. P. DVIVEDIN (Benares 1895; Vizianagram Sanskrit Ser. 6). Nyayamanjari of Jayanta Bhatta, ed. 8. N. SUKLA, 2 vols. (Benares 1934/36; Kashi Sanskrit Ser. 106). Die Nyayasutras. Text, Ubersetzung ... von W. RUBEN (Leipaig 1928; repr. Nendeln 1966; Abhandlungen fur die Kunde des Mor. genlandes 18/2). The Nyayavarttikam by Udyotakara Mitre, ed. V. P. DUBE (Cal. cutta 1887-1914; Bibliotheca Indica). Nyayavarttika, 8. ND. Prasastapadabhasya, 8. NK. Prasastapadabhasyam ... with comm. Sukti by Jagadisa Tarkalank&ra, Setu by Padmanabha Misra, and Vyomavati by Vyomasivacarya, ed. GOPINATH KAVIRAJ (Benares 1924-1930; Chowkhamba Sanskrit Ser.). Tattvasangraha of Acarya Shantaraksita, with the comm. Paxjika of Shri Kamalashila ... ed. DWARIKADAS SHASTRI, 2 vols. (Varanasi 1968; Bauddha Bharati Ser. 1-2). The Vaibesika Sutras of Kanada ... transl. by N. SINHA (Allahabad 1911; Sacred Books of the Hindus 6; enthalt auch den Sanskrittext der Sutren). Vaisesikasutra of Kanada, with the comm. of Candrinanda, crit. ed. JAMBUVIJAYAJI (Baroda 1961; Gaikwad,s Oriental Ser. 136). Vyomavati (von Vyomasiva), s. PB. NV: PB RV? TS Vg: V8 7. Summary The paper analyses the functions, ambiguities and paradoxes of the Vaisesika concept of drarya in a context, which is both systematic and historical and, to a certain extent, includes problems and conceptual distinctions developed in Western thought about 'substance'. Special atten. tion is paid to the role of dravya as substratum and qualificand and to the implications of the sense in which it can be said to 'have' qualities (guna). The cosmological roots and the changing connotations of this relationship are scrutinized; and the twofold perspective of dravya as asraya and as dharmin is related to two different levels of thought and discourse in Page #26 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 166 WILHELM HALBFASS classical Vaisesika-- levels which at the same time correspond to histori. cally different strata: a cosmological-'enumerative one, and a logical. functional one. The role of drarya is further illustrated by examining its epistemological function as alleged datum of pre-predicative immediate perception and by showing its conceptual evaporation or at least transformation in an increasingly logical and epistemological climate of discussion. - Some of the consequences of Prasastapada's epistemological treatment of dravya are traced, and it is contrasted with the theories of some Naiyayi. kus concerning an actually separate perceptibility of 'substanco as such'.