Book Title: Miszellen Zur Erkenntnistheoretisch Logischen Schule Des Buddhismus
Author(s): Ernst Steinkellner
Publisher: Ernst Steinkellner
Catalog link: https://jainqq.org/explore/269728/1

JAIN EDUCATION INTERNATIONAL FOR PRIVATE AND PERSONAL USE ONLY
Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ MISZELLEN ZUR ERKENNTNISTHEORETISCH-LOGISCHEN SCHULE DES BUDDHISMUS Von Ernst Steinkellner, Wien III. Zur Liste von sechzehn Arten der Nichtbeobachtung Obwohl das System der verschiedenen Arten von „Nichtbeobachtung eines Beobachtbaren" (drśyānupalabdhi) von Dharmakīrti mit klaren Worten als offen bezeichnet wurde, und die Struktur dieses Systems eine zahlenmäßige Festlegung der Arten überhaupt ausschließt, solange man nur die das System regierenden Verhältnisse der Kausalität, Identität und des Widerspruchs nicht verletzt, hat schon Dharmakīrti selbst in verschiedener Weise Gruppen von Nichtbeobachtungen zahlenmäßig festgelegt, und auch die an ihn anschließende Tradition ist dieser Übung gefolgt. Um den Sinn und die Motive für diese verschiedenen Klassifizierungen bei Dharmakīrti festzustellen, bedarf es noch einer genaueren Untersuchung, der ich hier nicht vorgreifen möchte. Die umfangreichste Liste bei Dharmakīrti ist die von elf Nichtbeobachtungen im Nyāyabinduḥ, die wohl auf das zweite IZ. B. PV I 30 (= 32): itīyam trividhāpy uktānupalabdhir anekadhā tattadviruddhadyagatigatibheda prayogatah || ,,In dieser Weise wird die Nichtbeobachtung, obgleich (als solche] von dreierlei Art, auf Grund der verschiedenen Formulierungen der Nichterkenntnis des (Wesens, der Ursache, des Umfassenden), der Erkenntnis des mit diesen (dreien) in Widerspruch stehenden usw. als vielfach gelehrt.“ Daß Dharmakīrti die Nichtbeobachtung als vielfach (anekadhā) bezeichnet, wird wohl zunächst so verstanden, daß damit die im Kontext des PV vertretenen acht Arten von Nichtbeobachtung gemeint sind (vgl. PVSVT 86, 22-24). Später (vgl. DhPr 124, 24; 140, 20, 141, 24 f.) deutet man aber offenbar die Listen bei Dharmakirti so, daß sie nur im Sinne beispielhafter Andeutung (upalaksanārtha) zu verstehen seien. 2 Zu den bisher bekannten Gruppierungen vgl. HB II Anm. V, 99 und PVin IIa Anm. 178. 3 Bestimmung der Grundstruktur der Nichtbeobachtungsarten, Häufigkeit des Auftretens bestimmter Arten in der logischen Praxis und der Wunsch nach, wenigstens für die einfacheren Arten möglicher, Vollständigkeit des Systems sind vermutlich für die verschiedenen Klassifizierungen bestimmend gewesen. 4 Vgl. die Tafel bei Y. KAJIYAMA, An Introduction to Buddhist Philosophy. An Annotated Translation of the Tarkabhāsā of Moksäkaragupta. Kyoto 1966, 153. Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 214 E. STEINKELLNER und dritte Kapitel des Pramāņaviniscayah zurückgehen dürfte, und aus der späteren Tradition liegt das umfangreichste bisher bekannte System mit der Liste von sechzehn Nichtbeobachtungen vor, die in den späten Handbüchern Tarkabhāṣā und Tarkasopānam geboten wird. Y. KAJIYAMA stellt im Appendix I seiner Übersetzung der Tarkabhāṣā* nicht nur verschiedene Listen der Nichtbeobachtung, wie sie bei Dharmakīrti und späteren Autoren erscheinen, zusammen, sondern sucht auch den Ursprung der Liste von sechzehn Arten aufzuspüren. Dabei verweist er auf Durvekamiśra, der in seinem Dharmottarapradīpaḥ zwar selbst eine Liste mit vierzehn Arten vertritt (vgl. DhPr 140, 20 ff.), aber dann (DhPr 141, 9f.) noch kecit erwähnt, die zwei weitere Arten, insgesamt also sechzehn Arten vertreten. Auf Grund der Erwähnung der vyāpakaviruddhakāryopalabdhi durch Jñānaśrīmitra (J 190, 2) stellt KAJIYAMA fest, daß Jñanaśrīmitra mehr Arten als die bei Dharmakīrti vorliegenden gekannt haben muß, und daß es die von ihm geführte Gruppe von Logikern war, die als erste eine Klassifizierung von sechzehn Arten vorgeschlagen hat (Appendix I, 152f.). Diese Liste ist jedoch - wenigstens fast zur Gänze - schon älter. Zunächst wird sie für Jñānaśrīmitra eindeutig dadurch bestätigt, daß sein Schüler Ratnakīrti in der weitgehend auf Werken Jñānaśrīs beruhenden Sarvajñasiddhiḥ (R 23, 32—24, 3) für den möglichen indirekten Widerspruch zwischen logischen Gründen wie dem des Erkennbarseins usw. (R 23, 12f.) und der Allwissenheit genau jenes System anbietet, das auch den zwölf auf dem Widerspruch beruhenden Nichtbeobachtungen in der Liste von sechzehn Arten der Nichtbeobachtung zugrundeliegt. Aber schon Sāntarakṣita gibt in seinem Kommentar zum Vādanyāyaḥ über die elffache Nichtbeobachtung des Nyāyabinduḥ hinaus vier weitere Arten samt den dazugehörigen Beispielen an (VNV 60, 17—21). Es sind dies die kāraṇaviruddhavyāptopalabdhi, kāryaviruddhavyāptopalabdhi, vyāpakaviruddhakāryopalabdhi und kāryaviruddhakāryopalabdhi. Die beiden ersten Arten sind die von Durvekamisra den kecit zugeschriebenen, und es ist wohl anzunehmen, daß damit Sāntarakṣita gemeint ist. Damit sind fünfzehn Arten der Nichtbeobachtung 5 Vgl. KAJIYAMA, loc. cit., Appendix I. Daß man auch diese Liste noch erweitert hat, zeigt etwa der Syádvādaratnākaraḥ (ed. MOTILÄL LADHĀJI, Poona 1926-30) 605, 3 ff. 6 Er kombiniert die drei Möglichkeiten -viruddha, -viruddhakarya, -viruddhavyāpta mit den vier svabhāva, vyāpaka, kārana, kārya. Vgl. G. BUHNEMANN, Der allwissende Buddha. Ein Beweis und seine Probleme. Ratnakīrtis Sarvajñasiddhi, übersetzt und kommentiert. Dissertation Wien 1980, 69 und Anm. 519. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Miszellen zur Erkenntnistheoretischen Schule des Buddhismus 215 bereits für śāntarakṣita belegt, und aus der Liste von sechzehn Arten fehlt nur die vyāpakaviruddhavyāptopalabdhi. Obwohl auch die durch śāntarakṣita erweiterte Liste bewußt offen gehalten ist -- das Dvandva mit den Termini endet auf -ādi (VNV 60, 18) — scheint er das System also nicht, wie wir es etwa bei Ratnakīrti feststellen können, abgerundet zu haben. Dafür, daß die Erweiterung von Sāntarakṣita selbst stammt, könnte sprechen, daß er unmittelbar nach der Angabe der Termini und Beispiele zwei nur diese knappen Sätze „zusammenfassende" Verse (sangrahasloka) bietet (VNV 60, 22-25)?, die wohl dazu bestimmt waren, die neuen Ergänzungen dem Gedächtnis der Tradition leichter einzugliedern. ? Der zweite Vers bietet die Beispiele, der erste, der die Termini nennt, ist leider stark verdorben: hetukāryaviruddhāptabhāvo vyāpakakāryayoh | viruddhakāryayor anyah pratisedhasya sādhakah ||. Auch die tibetische Übersetzung bietet keine klare Hilfe: rgyu dan 'bras bu 'gal ba dan khyab byed 'gal ba'i 'bras bu dan l 'bras bu géan pa'i dños po 'gyur | dgag pa nid kyi sgrub byed yin (VNV+ 122b6f.). Eine korrekte Form für den Vers möchte ich daher nicht vorschlagen. Deutlich scheint nur, daß im Pada a die Fälle des hetu( = kārana)viruddhavyāpta und des käryaviruddhavyāpta, und in b und e die Fälle des vyāpakaviruddhakārya und des kāryaviruddhakārya zusammengefaßt worden sind. Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 216 E. STEINKELLNER Abkurzungen: ᎠᏂPr HB II PV I PVin IIa Dharmottarapradipah: Pandita Durveka Misra's Dharmottara pradipa. Being a subcommentary on Dharmottara's Nyayabindutika, a commentary on Dharmakirti's Nyayabindu. Dec. and ed. D. MALVANIA. Patna 1955. E. STEINKELLNER, Dharmakirti's Hetubinduh. Teil II, Ubersetzung und Anmerkungen. Wien 1967. Jnanasrimitranibandhavalih. Ed A. THAKUR, Patna 1959. Pramanavarttikam, Kapitel I: R. GNOLI, The Pramanavarttikam of Dharmakirti, the first chapter with the autocommentary. Roma 1960. E. STEINKELLNER, Dharmakirti's Pramanaviniscayah, zweites Kapitel: Svarthanumanam. Teil II. Ubersetzung und Anmerkungen. Wien 1979. Pramanavarttikasvavrttitika: acarya-Dharmakirteh Pramanavarttikam (svarthanumanaparicchedah) svopajnavittya Karnakagomi-viracitaya tattikaya ca sahitam. Ed. R. SANKATYAYANA. Allahabad 1943. Ratnakirtinibandhavalih. Dec. and ed. A. THAKUR. 2. Patna 1975. Vadanyayavipancitartha: Dharmakirti's Vadanyaya with the Commentary of Santaraksita. Ed. R. SANKETYAYANA. Patna 1935-1936. Peking Edition Nr. 5738. PVSVT R VNV VNV.