Book Title: Meditation Und Mystik Im Yoga Des Patanjali
Author(s): Gerhard Oberhammer
Publisher: Gerhard Oberhammer
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ARCHIV FUR INDISCHE PHILOSOPHIE MEDITATION UND MYSTIK IM YOGA DES PATANJALI Von Gerhard Oberhammer Antrittsvorlesung gehalten am 27. November 1964 an der Universitat Wien Im Beginn seiner Metaphysik bemerkt Aristoteles : ,,Infolge des Staunens ist es namlich, dass die Menschen jetzt zu philosophieren beginnen und vormals begannen, indem sie sich zunachst uber naheliegende Probleme verwunderten und sich sodann, auf diese Weise fortschreitend, auch hinsichtlich bedeutender Dinge Fragen stellten..."1 Mit diesen Worten wird die Auffassung des Abendlandes von Philosophie in ihrem Kern bloss gelegt: Am Beginn des Philosophierens steht das Staunen, an seinem Ende die ,Theoria' als Lehre vom Seienden als solchen und im Ganzen 2. Damit sei nicht gesagt, dass dies die einzige Auffassung des Abendlandes von Philosophie ist, sondern nur, dass dies die leitende Vorstellung war, die bisher das Selbstverstandnis der Philosophie als Wissenschaft im Abendlande gepragt hat. Dem mochte man in vereinfachender Kontrastierung jene Leitidee entgegensetzen, die in Indien die Vorstellung von der Philosophie gepragt hat, und die in klassischer Klarheit am Anfang der Samkhyakarika ausgesprochen wird: ,,Aus der Bedruckung durch das dreifache Leid entspringt der Wunsch, ein Mittel zu dessen Beseitigung zu erkennen." 3 - Der Philosophie als Lehre vom Seienden steht hier in Indien die Philosophie als Lehre von der Erlosung gegenuber. Doch muss in diesem Zusammenhang bemerkt werden, dass es in Indien auch bedeutende philosophische Leistungen gegeben hat, die einer anderen, der abendlandischen verwandten Denkbewegung entsprungen waren. 1 Met. 982b 11-15. 2 Vgl. M. Heidegger: Was ist Metaphysik ? Frankfurt 61951, p. 11; 17ff. 8 Samkhyakarika 1 ab. 98 Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Wohl aber ist in Indien die Vorstellung von der Philosophie als Erlosungslehre (moksasastram) jenes Idealbild der Philosophie geworden, das alle anderen Denktraditionen beeinflusst und geformt hat. Die Vorstellung von der Philosophie als Erlosungslehre setzt jedoch als Bedingung ihrer Moglichkeit die Antwort auf die Frage voraus, wieso denn die Philosophie eine Erlosung von der leidhaften Existenz des Menschen wirken konne. Erlosung durch Philosophie kann nur dann moglich sein, wenn die Existenz des Menschen so beschaffen ist, dass sie durch wahre Erkenntnis aufgehoben werden kann, mit anderen Worten, wenn die eigentliche Wirklichkeit des Menschen ein existenz-transzendentes Sein ist, und die empirische Existenz in der Welt nur ein irrtumbedingtes Scheinphanomen an jenem Transzendenten darstellt. Ob nun die Vorstellung von der Philosophie als Erlosungslehre oder der eine solche Vorstellung ermoglichende Grundgedanke fruher ist, lasst sich nicht entscheiden. Vielleicht sind es nur zwei Seiten desselben historischen Apriori, aus dem sich jene Vielfalt des philosophischen Gedanken entwickelt hat, die der Historiker indischer Philosophie zu beschreiben und in seiner Eigenart zu bestimmen sucht. * Jedenfalls ist es dieser historische Ansatz indischer Philosophie, dem der Yoga des Patanjali entspringt, um den es heute in dieser Vorlesung geht. Um einen Begriff zu geben, was dieser Yoga der Sache nach eigentlich sei, mag eine kurze Begriffsbestimmung vorausgeschickt werden: Beim Yoga des Patanjali handelt es sich um ein auf der Basis des Samkhya ausgearbeitetes System geistiger und korperlicher Ubungen, durch die der Ubende seine geistige Existenz als empirisch-phanomenale Wirklichkeit zu uberwinden sucht und vorzustossen glaubt in eine trans-phanomenale Tiefe seiner Existenz, deren Erlebnis ihm den Zustand der Erlosung (kaivalyam = Emanzipation) vorwegzunehmen beziehungsweise zu enthalten scheint. Die Beurteilung des Yoga hat im Laufe der Zeit eine sehr unterschiedliche Wertung erfahren. Wahrend manche Autoren vor allem des vergangenen Jahrhunderts ihn als ernstzunehmendes Phanomen menschlichen Geistes ablehnten, glaubten andere ihn als hochste Form menschlicher Spiritualitat feiern zu mussen; und wenn die Fachwissenschaft heute die Tatsachlichkeit: yogischer Phanomene auch kaum mehr 99 Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ in Frage stellt, so geht sie doch in der Interpretation und Beurteilung dieser Phanomene weit auseinander. Hatte zum Beispiel eine fruhere Richtung den Yoga als Hypnose oder Suggestion gedeutet 4, so scheint in neuerer Zeit eine andere Richtung ausgehend von Religionsgeschichte und Tiefenpsychologie den Yoga jeweils in Kategorien dieser Wissenschaften zu explizieren. Die vielleicht erfolgreichsten Versuche dieser Art stammen von G. Tucci und M. Eliade 5. So wertvoll und fruchtbar jedoch diese Versuche sind, so wenig scheinen sie letztlich eine Antwort auf die Frage nach dem, was im Yoga abgesehen von subjektiven Erlebnissen oder somatischen Vorgangen wirklich geschieht, beantworten zu konnen, vor allem deshalb, weil die subjektive und objektive Ordnung nicht deutlich auseinander gehalten werden. Als Beispiel sei hier eine Bemerkung M. Eliades angefuhrt, die er in Zusammenhang mit der hochsten Stufe der yogischen Meditation macht: ,,En cet acte de concentration supreme, la ,connaissance equivaut a une appropriation'. Car la revelation sans intermediaire du purusa est en meme temps la decouverte experimentale d'une modalite ontologique inaccessible au profane. Ce moment, on ne peut que difficilement le concevoir autrement que comme un paradoxe; car on ne saurait plus, une fois arrive la, preciser ... dans quelle mesure on peut encore parler de la contemplation du Soi ou d'une transformation ontologique de l'homme. La simple ,reflexion' du purusa est davantage qu'un acte de connaissance mystique, puisqu'elle permet au purusa d'avoir la maitrise de soi-meme. Le yogin prend possession de soi-meme moyennant une ,stase nondifferenciee', dont l'unique contenu est l'etre ....... La prise en possession de soi-meme modifie en effet radicalement le regime ontologique de l'homme. La ,decouverte de soi-meme, l'autoreflexion du purusa entraine une rupture de niveau' a l'echelle cosmique: a la suite de son surgissement, les modalites du reel sont abolies, l'etre (purusa) coincide avec le non-etre (,l'homme' proprement dit), la connaissance se voit transformee en maitrise' magique ... ..." 6. Wenn man auch beruck 4 So zum Beispiel Sigurd Lindquist : Die Methoden des Yoga. Lund 1932. 5 G. Tucci: The Theory and Practice of the Mandala with special reference to the modern psychology of the subconscious. London 1961. - M. Eliade: Le Yoga immortalite et liberte. Paris 1954. 6 M. Eliade: loc. cit. p. 106. , 100 Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ sichtigt, dass diese Gedanken aus dem Zusammenhang gerissen notwendig eine gewisse Unklarheit zeigen, so bleibt doch die Freizugigkeit im Umgang mit ,,ontologischen Modalitaten" bestehen, die, obwohl der Gebrauch des Ausdrucks dies nahelegen wurde, offenbar nicht im Sinne ontologischer Kategorien zu verstehen sind. Es kann die in diesem Zitat vorgelegte Deutung der hochsten Meditationsstufe des Yoga nicht den Anspruch erheben, eine metaphysische Deutung eines objektiven Sachverhaltes zu sein. Denn wie sollte man anderenfalls eine ,,ontologische Umwandlung des Menschen", einen ,,Niveau-Bruch kosmischen Ausmasses" oder etwa eine ,,magische Beherrschung" verstehen? Wenn diese Ausdrucke einen exakten Sinn haben sollen, so konnen sie wohl nur im Sinne des Selbstverstandnisses des Yoga verstanden werden. Mit einer system-immanenten Beschreibung yogischer Anschauungen und Ubungen kann jedoch die Frage nach dem Yoga als Phanomen menschlichen Geistes nicht beantwortet werden. Vielmehr musste vom Standpunkt einer systematisch-objektiven und nicht nur einer historischsubjektiven Fragestellung aus zu entscheiden gesucht werden, was die in der yogischen Meditation begegnenden Phanomene sind, nicht was sie in der Vorstellung des Yogin sein sollen. Es ist in diesem Sinne, dass als Titel dieser Vorlesung gewahlt wurde: Meditation und Mystik im Yoga des Patanjali. In der Beschrankung auf die Meditation wird das objektive, geistige Geschehen im Yoga allein zum Gegenstand der Untersuchung gemacht und werden alle systembedingten Erklarungen und Anschauungen ausgeschaltet. Was untersucht werden soll, ist die Struktur der Meditation allein. In der Konfrontierung dieser Meditation mit dem Begriff der Mystik soll diese in einem zweiten Schritt auf die Natur des Menschen bezogen und somit die historisch-subjektive Beschreibung der yogischen Meditation auf eine objektive Wirklichkeit hin uberschritten werden, Somit werden alle Theorien von der Betrachtung ausgeschlossen, welche der sankhyistischen Yoga-Philosophie entstammen, auch solche, die der Erklarung meditativer Phanomene dienen, sowie alle jene Wunderkrafte (siddhayah), die als Resultat des Yoga hingestellt werden und deren wissenschaftliche Beurteilung sich noch in den Anfangen 101 Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ befindet? Die Berechtigung diese Wunderkrafte im vorliegenden Zusammenhang zu vernachlassigen, ergibt sich umsomehr als der Yoga des Patanjali ihnen keine Bedeutung beimisst und explizite gesagt wird, dass diese Wunderkrafte unter anderem auch aus dem Gebrauch von Drogen resultieren konnen. Als Grundlage der Untersuchung dient das Yogasutram des Patanjali (YS), welches das Grundwerk der samkhyistischen Yoga-Schule ist und aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten stammen durfte. Ausserdem wird dort, wo es notig erscheint, auch der einzige alte Kommentar zu diesem Werk, das Yogabhasyam (YBh), der etwa aus dem 6. Jahrhundert stammen durfte, herangezogen werden 88 Schon W. Hauer hat darauf hingewiesen, dass im Werk Patanjali's Texte aus verschiedenen Schichten verarbeitet wurden. Er hatte angenommen, dass sich diese alteren Texte durch einfaches Auseinanderrucken gewisser Partien der Yogasutren wiedergewinnen lassen. Tatsachlich liegt die Situation schwieriger. Denn Patanjali hat naturlich die verarbeiteten Texte dort, wo sich Unstimmigkeiten ergaben, weitgehend aufeinander abgestimmt. Und so konnen diese nicht mehr durch mechanisches Auseinandernehmen wiedergefunden werden. Worum es vielmehr geht, ist, die in den verarbeiteten Texten liegende innere Gestalt zu erkennen, um dadurch die Moglichkeit zu gewinnen, alle jene Textpartien, die durch sie gepragt sind, zu finden. Erst dann kann man im Text der Yogasutren die ursprunglichen, verarbeiteten Textgestalten wiedererkennen und zu einem gewissen Grade die Hand des Redaktors unterscheiden. ? Vgl. J. Filliozat: La Nature du Yoga dans sa Tradition, in: Th. Brosse: Etudes instrumentales des techniques du Yoga. Experimentation psychosomatique. (Publications de l'Ecole Francaise d'Extreme-Orient Vol. 52) Paris 1963, p. XIIff. 8 YS IV 1. 88 Zitiert nach: Patanjala-Yogasutra-Bhasya-Vivaranam of SankaraBhagavatpada. Critically edited with introduction by Rama Sastri and S. R. Krishnamurti Sastri. Madras Government Oriental Series No. XCIV. Madras 1952 J. W. Hauer: Der Yoga ein individueller Weg zum Selbst. Stuttgart 1958, p. 222ff. 102 Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ E. Frauwallner hat im Hinblick auf eine solche Gestaltsanalyse zwei solcher grundlegender Gestalten unterschieden und darauf hingewiesen, dass dies der Grund fur die in den Yogasutren begegnenden Unstimmigkeiten sei 10. Bei der Untersuchung der yogischen Meditation wird also darauf zu achten sein, welchem Typus des Yoga die jeweilige Aussage angehort, und der Versuch zu machen sein, auf diese Weise zur Entdeckung verschiedener Meditations-Schemata zu gelangen. Die Analyse in diesem Punkte voraussetzend mochte ich drei Aussagengruppen unterscheiden, die voneinander verschieden sind, in sich aber jeweils ein einheitliches Schema der Meditation zu beschreiben scheinen: Namlich YS I, 2-18, dann YS I 41-50 und schliesslich YS II 54-III 7. Da E. Frauwallner bereits die Meditationstypen der ersten und dritten Gruppe beschrieben und von einander unterschieden hat, ausserdem der Meditationstypus der zweiten Gruppe mit jenem der dritten identisch zu sein scheint 11, soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, die 10,,Dass diese zwei verschiedenen Formen des Yoga nicht unterschieden wurden, ist der Hauptmangel der bisherigen Darstellungen des klassischen Yoga. Sie suchen die Angaben der alten Texte in einem systematischen Aufbau zu vereinigen und schaffen so eine kunstliche Einheit, welche den alten Texten fremd ist... ... Die Folge dieser Vereinigung widersprechender Elemente sind naturgemass Unklarheiten und Unverstandlichkeiten." E. Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie Bd. I, Salzburg 1953, p. 483. 11 Diese Annahme beruht auf folgenden Grunden: 1. Die Gleichsetzung der samapattih mit dem samprajnatasamadhih, die von den Kommentatoren versucht wird, um eine einheitliche Struktur der Meditation zu erreichen, ist unwahrscheinlich und lasst sich kaum wirklich durchfuhren. So unterscheidet sich die Nomenklatur der vier Stufen des samprajnatasamadhih von jener der vier Stufen der samapattih (savitarkah, savicarah, sanandah und sasmitah stehen savitarka, nirvitarka, savicara und nirvicara gegenuber). Ausserdem liegt eine Verschiedenheit der beiden Meditations-Schemata auch hinsichtlich ihres Inhaltes vor. Denn, um nur ein Beispiel zu nennen, der hochste Meditationsinhalt im Falle der samapattih ist die Urmaterie (alingam) im Falle des samprajnatasamadhih aber das Einheit-Bewusstsein der Ich-heit (asmita). Es ist also der samprajnatasamadhih ursprunglich sicher von der samapattih unterschieden gewesen. 2. Die Dynamik der samapattih unterscheidet sich wesentlich von jener des samprajnatasamadhih, deckt sich aber mit jener des samadhih der dritten Gruppe. Der Kommentator bestimmt die hochste Stufe der samapattih formal genau so wie die YS den samadhih der dritten Gruppe, namlich als svarupasunyeva arthamatra (vgl. Ybh p. 111, 5 103 Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ innere Struktur der yogischen Meditation am Meditations-Schema der ersten und zweiten Aussagengruppe darzustellen. Wenn Patanjali am Beginn seines Werkes den Yoga als ,,Stillegung der Bewusstseinsvorgange" bestimmt und diesen Gedanken in der Bemerkung weiter auslegt, dass ,,deren Stillegung durch Ubung und Begierdelosigkeit" 12 erfolgt, so zeichnet sich deutlich eine der yogischen Meditation innewohnende Dynamik in drei Phasen ab. Denn die Termini ,,Ubung" und ,,Begierdelosigkeit" sind hier in einem klar definierten Sinn zu verstehen. ,,Ubung" (abhyasah) ist dem Kommentator nach jene beharrliche Bemuhung des Meditierenden, das Denken (cittam) im Zustande ruhigen Dahinstromens zu halten, ohne dass weitere Bewusstseinsvorgange auftreten 13. ,,Begierdelosigkeit" (vairagyam) hingegen ist das Bewusstsein der Beherrschung (vasikarasamina) des Meditierenden, wenn dieser weder nach den Dingen der Welt noch nach jenen der hl. Uberlieferung verlangt 14. Diese Begierdelosigkeit, die zunachst als existenzieller Habitus des Meditierenden im allgemeinen verstanden ist, wird in ihrer Beziehung zur Meditation deutlich, wenn man zu ihrer Interpretation YS I 15 heranzieht, in dem die hochste Stufe dieser Begierdelosigkeit in der Begierdelosigkeit gegenuber den Gunas schlechthin gesehen wird. Die Begierdelosigkeit gegenuber den Gunas umfasst also nicht nur die Dinge der Welt und der hl. Uberlieferung, sondern alle Manifestationen der Urmaterie und diese selbst 15, damit aber in der Meditation alle nach Samkhya- Metaphysik als Manifestationen der Urmaterie betrachteten Bewusstseinsvorgange. Die Begierdelosigkeit ist und YS III, 3). Die vierte Stufe des samprajnatasamadhih lasst sich aber gerade nicht als arthamatrah und svarupasunya iva bestimmen, da er nur noch das Einheit-Bewusstsein der Ich-heit zum Inhalt hat. Schliesslich drangt die Dynamik des samprajnatasamadhih folgerichtig auf den asamprajnatasamadhih hin, wahrend die Dynamik des samadhih der dritten Gruppe und die der samapattih in keiner Weise auf den asamprajnatasamadhih hin angelegt ist, wie dies die YS und die Kommentare glauben machen mochten. Denn in einer den Gegenstand in moglichst unmittelbarer Erfahrung erfassen wollenden Meditation liegt kein Grund, auch nicht der Moglichkeit nach, diese Erfahrung auf eine gegenstandslose Schau hin zu ubersteigen. 12 YS I 2 und 12. 18 YS I, 13; YBh p. 43, 2. 14 YS I 15. 15 YBh p. 45, 2-3. 104 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ demnach jener allgemeine Habitus der Indifferenz, der sich in der Meditation besondert zu jener existenziellen Bereitschaft sich jeden Inhalts endlichen Bewusstseins zu entaussern. Wenn daher von drei Phasen gesprochen wurde, in die sich die dynamische Struktur der Meditation auslegt, so kann dies nunmehr naher bestimmt werden. Ziel der yogischen Meditation und damit Quelle ihrer Dynamik ist die Erlangung jenes Zustandes, in dem das absolute Bewusstsein (drasta) in der ihm eigenen Form gegeben ist 16, und diesem Ziele dient die Stillegung (nirodhah) der Bewusstseinsvorgange. Jedoch kann diese nur dann realisiert werden, wenn das Denkorgan nicht bestandig neue Vorgange im Bewusstsein hervorruft, sondern in einem Zustand der Fixiertheit (sthitih) gehalten wird. Dazu dient der Vorgang der Ubung (abhyasah). Andererseits kann die Dynamik der Meditation nur dann auf die Stillegung der Bewusstseinsvorgange hintendieren, wenn sich das Denkorgan nicht mit einem existenziellen Begehren an bestimmte Inhalte des Bewusstseins klammert, sondern bereit ist, sich in vollkommener Begierdelosigkeit (vairagyam) 17 dieser Inhalte zu entaussern. Der Dynamik der Meditation entsprechend muss daher diese Dreiheit 16 YS I, 2-3. 17 Diese ,,Begierdelosigkeit", welche von den Sutren als ,,Bewusstsein der Beherrschung" im Sinne eines ,,Nicht-Festhalten-Wollens" verstanden wurde, wird in ihrer hochsten Form vom Kommentator phanomenologisch als eine ,,ruhige Heiterkeit des Erkennens" (jnanaprasadamatram) bestimmt (YBh p. 45, 3). Es scheint wahrscheinlich, dass sich in diesem Gedanken bereits eine Modifizierung des ursprunglichen Stillegungs-Yoga im Sinne des Aneignungs-Yoga andeutet. Denn als Grund fur diese hochste Form der Begierdelosigkeit wird der purusadarsanabhyasah angegeben, der hier offenbar als ein ubendes Aneignen des Purusa-Begriffes zu verstehen ist und nicht als abhyasah im Sinne des Stillegungs-Yoga. Denn diesem abhyasah konnte die Erkenntnis des purusah (purusadarsanam) gar nicht als Objekt gegeben sein, weil er es in Verbindung mit dem vairagyam ist, der diese Schau des purusah erst herbeifuhren soll. Selbst wenn der Yogin vor der Meditation als vorgangiges Wissen eine theoretische Kenntnis des purusah besitzt, so ist diese im Zuge des samprajnatasamadhih auf Grund seiner stillegenden Dynamik geschwunden. Ausserdem wurde sich ein Widerspruch mit der Bestimmung der letzten Stufe des samprajnatasamadhih ergeben, der ausdrucklich als asmitamatrah, als nur noch Einheits-Bewusstsein der Ich-heit, bestimmt wird und von dem es ausdrucklich heisst, dass in ihm die Wonne (anandah) der vorletzten Stufe geschwunden sei. 105 Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ von ,,Ubung",,,Begierdelosigkeit" und ,,Stillegung" wahrend des Vorganges der Meditation in einem schwebenden Ubergang zu einem je intensiveren Verwirklichungsgrad gedacht werden. " Wie dies im Einzelnen zu denken ist, wird aus der Gliederung der Versenkung mit unterscheidender Erkenntnis (samprajnatasamadhih) deutlich, die Patanjali in YS I 17 gibt:,,Die Versenkung mit unterscheidender Erkenntnis ist versehen mit Nachdenken, Erwagen, Wonne und Ich-heit." Aus dem Kommentar zu diesem Sutram 18, geht hervor, dass damit eine Reihe von vier Graden der Versenkung mit unterscheidender Erkenntnis gemeint ist, deren Inhalt in absteigender Folge um jeweils eine der Bestimmungen armer ist. In der mit Nachdenken versehenen Versenkung (savitarkah samadhih) wurde also Nachdenken, Erwagen, Wonne und Ich-heit gegeben sein, wahrend in der mit Erwagen versehenen Versenkung (savicarah samadhih) von diesen vier Bestimmungen das Nachdenken fehlen wurde und so fort bis in der mit Ich-heit versehenen Versenkung (asmitamatrah) nur mehr die Ich-heit gegeben ware. Allen diesen vier Graden der Versenkung ist aber gemeinsam, dass es sich um Versenkungen mit unterscheidender Erkenntnis handelt, d. h. um Versenkungen denen ein Bewusstseinsinhalt als Stutze eigen ist 19. Versucht man diese Reihe von vier Versenkungen in Beziehung zu den eben besprochenen drei Phasen der Meditations-Bewegung zu setzen, so zeigt sich, dass diese drei Phasen offensichtlich auf jeder Stufe durchzuhalten sind, auf dass die nachstfolgende Stufe eintreten kann. In den vier Stufen ist lediglich die Reihenfolge der auszuschliessenden Bewusstseinsvorgange angegeben, die der Meditierende einzuhalten hat. Wird die Dynamik der Meditation, die sich in diese drei Phasen auslegt, auch noch auf der letzten Stufe, namlich der Versenkung, in der nur mehr die Ich-heit allein gegeben ist, durchgehalten, so tritt die Versenkung in ein grundsatzlich neues Stadium. Es schwindet namlich 18 YBh p. 48, 2-4. 19 YBh p. 48, 4. Vgl. die Erklarung des Terminus asamprajnatah samadhih YBh p. 12, 4-5: na tatra kimcid samprajnayata ity asamprajnatah.,,In ihm (= asamprajnatah samadhih) wird nicht irgendetwas erkannt, daher heisst er ,ohne unterscheidende Erkenntnis"." Daraus folgt, dass der samprajnatah samadhih ein bestimmtes Etwas zum Gegenstand haben muss. 106 Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ auch noch der letzte in der Erkenntnis erkennbare Inhalt, namlich die Ich-heit, und aus der Versenkung mit unterscheidender Erkenntnis wird die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis (asamprajnatasamadhih), der kein Bewusstseinsinhalt mehr als Stutze eignet (nirbijasamadhih). Da nun die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis keinen Bewusstseinsinhalt mehr besitzt, ist die Frage nicht mussig, worin sich dann diese Versenkung vom Zustand des traumlosen Schlafes unterscheidet. In YS I 10 definiert Patanjali den Schlaf als jenen Bewusstseinsvorgang, der die Vorstellung des Nicht-Seins als Stutze hat. Der Schlaf ist demnach ein Bewusstseinsvorgang (vrttih) und muss als solcher, nach Meinung des Kommentators,,,wie alle anderen Vorstellungen in der Versenkung zum Stillstand gebracht werden" 20. Die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis ist aber andererseits gerade jener Zustand, in dem jeder Bewusstseinsvorgang zum Stillstand gekommen ist. Uber diese grundsatzliche Unterscheidung hinaus liegt aber noch ein weiterer bezeichnender Unterschied vor, der das Wesen der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis zu verdeutlichen imstande ist. Der Schlaf wurde als jener Bewusstseinsvorgang bestimmt, der die Vorstellung des Nichtseins zum Inhalt hat. Bildlich gesprochen konnte man also sagen, dass in ihm die Vorstellung des Nicht-Seins das Bewusstsein des Subjektes verstellt, sodass dieses als nicht vorhanden erscheint. Anders verhalt es sich mit der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis. Diese enthalt nach Patanjali im Gegensatz zum Schlaf nicht nur keinen Bewusstseinsinhalt mehr, sondern tritt ausserdem,,im Anschluss an die Ubung der Erloschens-Vorstellung ein" 21. Muss man den Terminus,,Ubung" (abhyasah), wie es richtig scheint, terminologisch 22 verstehen, dann kann gesagt werden, dass die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis eintritt, wenn die Erloschens-Vorstellung als einziger Inhalt des Meditationsvorganges,,fixiert" wurde, welches Fixieren, wie der Kommentator sagt, die hochste Form der 20 YBh p. 38, 9-10. 21 YS I 18. 22 Vgl. Anm. 13. 107 Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Begierdelosigkeit als Bedingung der Moglichkeit der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis fordert 23. Es ist offenkundig, dass Patanjali bewusst die Vorstellung des NichtSeins, welche den Bewusstseinszustand im Schlaf strukturiert, im Falle der Versenkung durch die Erloschens-Vorstellung ersetzt und ausserdem im Falle des Schlafes die Vorstellung de Bewusstseinsinhalt gemacht hat, wahrend er im Falle der Versenkung die Erloschens-Vorstellung nur als deren einleitendes Moment bestimmt hat. Hinsichtlich der Erloschens-Vorstellung als Einleitung der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis bemerkt der Kommentator: ,,Eine ,Ubung', die sich auf ein Objekt richtet, kann nicht zur Verwirklichung dieser Versenkung dienen. Sie richtet sich [deshalb] auf die Erloschens-Vorstellung, die nichts Wirkliches zum Inhalt hat und (daher] inhaltsleer ist. Das Denkorgan besitzt daher im Anschluss an die Ubung einer solchen Vorstellung kein Objekt und hat gleichsam den Zustand des Nicht-Seins erreicht". 24 Aus dieser Bemerkung wird deutlich, dass die ,,Ubung" der Erloschens-Vorstellung die Aufgabe hat, einen Zustand des Bewusstseins herbeizufuhren, in dem jeder Inhalt geschwunden ist, ohne dass das Bewusstsein wie im Schlaf durch die Vorstellung des Nicht-Seins ,,verstellt" wurde. Es mag dem Indologen verziehen werden, wenn er an dieser Stelle den indologischen Gedankengang unterbricht und ohne Pratention und nur zu eigener Information auf das Gebiet der Philosophie ausgreift, um von dort einen Ansatz zu bekommen, die Aussagen der Yogasutren im sachlichen Problem verstand zu interpretieren. Nicht als ware es dem Nicht-Philosophen moglich, eines der schwierigsten metaphysischen Probleme in einigen Satzen fachgemass zu formulieren und in seiner Losung einwandfrei zu bestimmen. Doch musste es moglich sein, mit einigen Worten auf jenen Problemzusammenhang hinzuweisen, wo vielleicht der Philosoph allein eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis finden durfte. Es scheint ein transzendentales Apriori menschlicher Erkenntnis zu sein, dass diese Erkenntnis, um als Erkenntnis von etwas uberhaupt 23 YBh p. 49,3. 24 YBh p. 49, 3-6. 108 Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ moglich zu sein, immer schon ausgegriffen haben muss auf das Sein schlechthin. Vielleicht darf hier ein altes Axiom indischer Dialektik zur Verdeutlichung erwahnt werden, welches besagt, dass sich eine Untersuchung niemals auf einen Gegenstand richtet, der bereits erkannt ist, noch auch auf einen solchen, der noch ganzlich unerkannt ist. Vielmehr richtet sich eine Untersuchung auf einen Gegenstand, den man vage bereits in irgendeiner Weise erkannt hat und uber den man nun im Zweifel ist. Wenn man daher nach einem Seienden fragt, ob es sei, und was es sei, wenn man erkennt, dass es ist, und was es ist, so setzt Frage wie Erkenntnis voraus, dass man irgendwie bereits weiss, was Sein ist. Es muss daher das Sein immer schon in irgendeiner Weise der Erkenntnis des Menschen erschlossen sein. Nun zeigt sich, dass die menschliche Erkenntnis dieses Sein, obwohl es immer schon gewusst wird, nicht zum Gegenstand haben kann wie ein beliebiges Seiendes. Das Sein ist nur soweit Gegenstand der menschlichen Erkenntnis, als es in der Transzendenz der Erkenntnis als,,Horizont" fur die Erkenntnis von Seiendem gegeben ist. Gerade deshalb kann es aber niemals selbst Gegenstand der Erkenntnis im eigentlichen Sinne werden. Es kann vom Menschen immer nur soweit erkannt und gewusst werden, als es in der Erkenntnis von Seiendem als deren,,Formalobjekt" mitgewusst wird, und in einer transzendentalen Reduktion von dieser Erkenntnis abgehoben wird. Apriori lasst sich jedoch die Moglichkeit nicht ausschliessen, dass dieses Sein, zwar nicht Gegenstand der Erkenntnis werden kann, dass es aber doch durch das ThematischMachen der Transzendenz in der Meditation in irgendeiner Weise erfahren werden kann. Eine solche Erfahrung musste man dann als eine Art Mystik bestimmen, da in ihr das Sein, wenn auch in leerster Abstraktheit, so doch direkt begegnen wurde 25. Diese Moglichkeit ist nun nicht nur nicht auszuschliessen, sondern scheint im Yoga des Patanjali tatsachlich vorzuliegen. Die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis scheint sich 25 Die hier vorgelegten Gedanken beruhen auf Ausfuhrungen K. Rahners in seinem Werk: Horer des Wortes. Munchen 11941. Derselbe: Das Dynamische in der Kirche (Quaestiones Disputatae Bd. 5) Freiburg 1958, bes. p. 124ff. 109 Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ namlich ungezwungen als ein solches Thematisch-Machen der Transzendenz des menschlichen Geistes interpretieren zu lassen. Die Ubung der Erloschens-Vorstellung" getragen von der ,,hochsten Begierdelosigkeit" scheint jenes Moment zu sein, das die Reihe der Versenkungen mit unterscheidender Erkenntnis, deren letzte und unmittelbar der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis vorausgehende jene ist, deren einziger Inhalt die,,Ich-heit" (asmita) ist, uberfuhrt in den Zustand der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis. Dieses,,Uberfuhren" ist offenbar so zu verstehen, dass sich die Ubung der ErloschensVorstellung" und die,,Begierdelosigkeit" eben auf jene Ich-heit richten, die im aufsteigenden Verlauf der Versenkung als einziger Inhalt des Bewusstseins verblieben ist, und auch diese als Inhalt des Bewusstseins zum Schwinden bringen 26. Ist aber dieser Zustand erreicht, so ist, wie Patanjali bemerkt, das apperzipierende Subjekt in der ihm eigenen Form gegeben 27, oder steht, wie der Kommentator paraphrasierend erlautert,,,die Geisteskraft in ihrer eigenen Form, wie im Zustand der Erlosung. Ist aber das Denkorgan im Normalzustand, dann ist dies nicht der Fall, obwohl die Geisteskraft [an sich] doch so (d. h. in ihrer eigenen Form) west" 28. Die eigene Form des apperzipierenden Subjekts wird also gedeutet durch den Zustand der Erlosung, in dem ,,die Geisteskraft ohne Beziehung zum Sattvam des Denkens und in sich allein west" 29. Im Zustand des Normalbewusstseins ist aber diese eigene Form,,verstellt" durch die verschiedenen Modifikationen des Sattvam des Denkens, d. h. durch die verschiedenen Bewusstseinsinhalte. Wenn daher die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis mit dem Zustand des Geistes in der 26 Als Mittel hierfur ist offenbar die,,Erloschens-Vorstellung" gedacht, die in der ,,Ubung" fixiert werden soll. Anders als im Falle der Vorstellung des Nicht-Seins wurde der Meditierende von einem im Bewusstsein gegebenen Inhalt (hier das Einheit-Bewusstsein der Ich-heit) ausgehend mit ihrer Hilfe den Inhalt des Bewusstseins zum Schwinden bringen, wahrend keine weitere Vorstellung, etwa jene des Nichtseins des betreffenden Inhaltes, hervorgerufen wurde, da durch die ,,Ubung" der Erloschens-Vorstellung ein Aufkommen neuer Vorstellungen blockiert wird. 27 YS I 3. 28 YBh p. 13, 7-8. 29 YBh p. 369, 3-4. 110 Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Erlosung (kaivalyam) gleich sein soll, dann muss in ihr die ,,Geisteskraft" ohne Bewusstseinsinhalte, d. h. konkret ohne den Inhalt der Ich-heit gegeben sein. Das Bewusstsein muss also im Laufe des Meditationsvorganges des Stillegungs-Yoga so verandert worden sein, dass es in der ihm eigenen Form voll erhalten bleibt, ohne jedoch noch Bewusstsein von etwas zu sein. Wenn es nun richtig ist, dass das menschliche Erkennen als Bedingung seiner Moglichkeit immer schon vor dem ,,Horizont" des Seins steht, welcher Horizont gewohnlich nur im Erkennen von Seiendem miterkannt wird, dann muss im Zustand des gegenstandslosen Bewusstseins dieser Horizont des Seins immer schon gegeben sein und in einer Art undifferenzierter ,,Schau" erfahren werden konnen. Diese Schau, sofern sie lediglich in einer Erfahrung des Seins als ,,Horizont" in der Transzendenz des menschlichen Geistes besteht, konnte man mit Recht eine naturliche Mystik nennen 30. Neben dieser Form der yogischen Meditation muss aber noch eine zweite besprochen werden, die in YS I 41-50 als samapattih ,,Aneignung" beschrieben ist, soll die im Titel dieser Vorlesung gestellte Frage nach Meditation und Mystik im Yoga des Patanjali beantwortet werden konnen. Im Gegensatz zum bisher besprochenen ,,StillegungsYoga" konnte man diese zweite Form des Yoga mit dem Namen ,,Aneignungs-Yoga" bezeichnen 31 In seinen Yogasutren macht zwar Patanjali und nach ihm seine Kommentatoren den Versuch, diese Form der Meditation mit dem Stillegungs-Yoga zu harmonisieren. Bei naherer Betrachtung zeigt sich jedoch deutlich, dass die Ubereinstimmung mit dem Schema der Versenkung lediglich in der Tatsache besteht, dass sowohl diese wie jene von der Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis als funfte Stufe uberstiegen wird, dass aber Dynamik und innere Struktur der beiden Meditationsschemata so diametral verschieden sind, dass von einer 30 ,Naturlich konnte man diese Mystik deshalb nennen, weil in ihr Gott nur als ,,Horizont" menschlicher Seinserkenntnis erfahren wird. 31 Diese Form erscheint bei Patanjali zweimal, als samapattih und als samyamah. Beide Meditations-Schemata, die historisch von einander zu scheiden sein durften, sind aber dem Typus nach identisch. Vgl. Anm. 11. Gotti Diese Form Meditations pedem Typus na 111 Page #15 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Identitat der beiden keine Rede sein kann, sondern diese lediglich durch die harmonisierende Tendenz Patanjali's sekundar geschaffen wurde, indem an das Meditationsschema der Aneignung die funfte Stufe des Stillegungs-Yoga's, namlich die Versenkung ohne unterscheidende Erkenntnis, angefugt und die jeweiligen vier Stufen der beiden Schemata mit einander ausserlich identifiziert wurden. Tatsachlich muss es sich aber historisch um verschiedene Meditationsschemata handeln. Worum es sich bei der Aneignung als yogischer Meditation handelt, wird aus ihrer Definition deutlich. Nach YS I 41 ist die Aneignung,,das Gefarbtsein als Erkenntnissubjekt, Erkennen und Erkenntnisobjekt eines Denkorgans, dessen psychische Vorgange geschwunden sind und das [daher] wie ein Kristall ist, dadurch, dass es auf diese bezogen ist". Das Bemuhen dieser Definition zielt offenbar auf ein meditatives Phanomen, das vom Stillegungs-Yoga wesentlich unterschieden ist. Sie versucht namlich das Problem zu losen, wie ein Erkenntnisvorgang beschrieben werden soll, der grundsatzlich erst dann eintritt, wenn die psychischen,,Vorgange" im Denkorgan geschwunden sind. Die Losung dieses Problems und damit der Schlussel zur Frage, was die Aneignung ist, liegt in dem Terminus,,tatsthatadanjanata", der mit dem schwerfalligen Ausdruck,,Gefarbtsein dadurch, dass es (das Denkorgan) auf diese bezogen ist" ubersetzt wurde. Wie dieser Terminus naher zu interpretieren ist, zeigt deutlich das Bild vom Kristall. Ein Kristall, der auf einer farbigen Unterlage liegt, nimmt fur den Betrachter ohne irgend eine Eigentatigkeit die Farbe der Unterlage an. Ebenso nimmt das Denkorgan die Form jener Faktoren des empirischen Bewusstseins, mit denen es bildlich gesprochen in Beruhrung stehen muss, soll es zu einer Erkenntnis kommen, namlich Erkenntnissubjekt (grahita purusah), Erkennen (grahanam sinnliche Erkenntnis) und Erkenntnisgegenstand (grahyam), auch dann an, wenn es wegen der Fixierung der Bewusstseinsvorgange (ksinavrttih) zu keiner,,Eigentatigkeit" des Denkorgans kommen darf. = Versucht man zu bestimmen, worum es bei der aneignenden Meditation geht, und nicht, wie diese auf Grund zeitgebundener Vorstellungen psychologisch erklart wird, so kommt man zum Schluss, dass die An 112 Page #16 -------------------------------------------------------------------------- ________________ eignung einbildhaft-intuitives Einwirkenlassen eines Meditationsgegenstandes auf den Meditierenden ist, wobei die Aufmerksamkeit auf ein und denselben Gegenstand zu fixieren ist. Bemerkenswert ist es in diesem Zusammenhang, dass es bei der Aneignung wesentlich auf den Meditationsgegenstand anzukommen scheint und nicht nur auf den formalen Vorgang der Meditation. Dies wird deutlich, wenn man die Dynamik der aneignenden Meditation an der Reihe ihrer Objekte sichtbar macht. Denn im Gegensatz zum Stillegungs-Yoga fuhrt die formale Dynamik der Aneignung nur in Verbindung mit der Reihe ihrer Objekte zur hochsten Form dieser Meditation. Bei den Meditationsgegenstanden der Aneignung handelt es sich um die kosmologischen Prinzipien der Samkhya-Philosophie, welche den Meditierenden von Stufe zu Stufe weiterfuhren, indem dieser die Reihe dieser evolutionistischen Prinzipien im Sinne der Re-volution zuruckverfolgt. So werden zunachst die Gegenstande der empirischen Welt zum Meditationsobjekt gewahlt, dann die feinen Prinzipien 32 und schliesslich die Urmaterie selbst. Denn die Reihe der feinen Prinzipien als Meditationsgegenstande endet nach YS I 45 mit der undifferenzierten Urmaterie. Neben dieser vom Objekt her bestimmten Dynamik der Aneignung ist ihr aber eine weitere typisch, die in der formalen Struktur dieser Meditation sichtbar wird. Die Aneignung gliedert sich namlich in vier auf einander folgende Stufen. Sie geht aus von der Aneignung eines Meditationsobjektes der empirischen Welt. Bei dieser Aneignung, die savitarka samapattih genannt wird, ist wohl eine Fixierung des Denkorgans (ksinavrttih) eingetreten, doch werden in ihr die Vorstellungen des Objektes, die Wortvorstellungen und Vorstellungen seiner Erkenntnis undifferenziert als Einheit angeeignet" 33. Schreitet die aneignende Meditation entsprechend ihrer formalen Dynamik fort, so tritt die zweite Stufe der Aneignung, die nirvitarka 32 Nach YBh p. 112, 2-5 handelt es sich bei diesen feinen Prinzipien um die tanmatrani, den ahamkarah, das lingamatram (= mahan atma ?) und das alingam (= pradhanam). 33 YS I 42. 113 Page #17 -------------------------------------------------------------------------- ________________ samapattih, ein. Derselbe Meditationsgegenstand wird nunmehr so aufgefasst, dass das Denkorgan, wenn die Erinnerung 34 von den Wortvorstellungen gereinigt ist und die meditative Erkenntnis (samadhi prajna) von den Vorstellungen aus Schlussfolgerupg und Unterweisung frei ist, nur noch Erscheinung dieses Gegenstandes und gleichsam seiner (des Denkorgans) eigenen Form entleert ist 35. Im Fortgang der Meditation tritt die dritte, savicara genannte Stufe der Aneignung ein. Auf dieser wird, wie der Kommentator ausfuhrt, der Meditationsgegenstand, der auf der zweiten Stufe noch als Ganzes (avayavi) ,,angeeignet" wurde, unter der Rucksicht der ihn aufbauenden feinen Elemente (Feinatome), angeeignet": ,,Die Aneignung hinsichtlich der feinen Elemente, sofern deren Eigenschaften manifestiert und infolge der Auffassung von Ort, Zeit und Ursache bestimmt sind, ist die savicara genannte samapattih. Auch auf dieser Stufe ist das feine Element, welches zum Objekt (der Meditation) gemacht wurde und mit sichtbaren Eigenschaften versehen ist, nur in einer einzigen (undifferenzierten) Erkenntnis erfasst". Aus dieser letzten Bemerkung geht hervor, dass im Grunde auf dieser Stufe die Form der savitarka samapattih transponiert auf eine Ebene tieferer Einsicht wiederkehrt, obwohl die Aneignung durch die ihr eigene Dynamik uber die zweite Stufe der Meditation bereits hinausgefuhrt wurde. Denn der ersten wie der dritten Stufe der Aneignung ist es gemeinsam, ihren Gegenstand in einer undifferenzierten Erkenntnis, ,,vermengt" mit Formelementen der Erkenntnis ,,anzueignen" 36 Auf der vierten Stufe (nirvicara samapattih) kehrt daher folgerichtig und neuerdings auf eine Ebene tieferer Einsicht verschoben jener Vorgang wieder, der den Ubergang von der ersten zur zweiten Stufe bewirkt hatte, namlich die Eliminierung der in der Aneignung vorhandenen 84 ,,Erinnerung ist das Nicht-[aus-dem-Auge-]Verlieren eines [bereits] erkannten Gegenstandes." YS I 11. - Vgl. YS I 20, wo die Erinnerung als Vorstufe des samadhih genannt ist und ebenfalls ein Einfluss von Seiten des Aneignungs-Yoga vorliegen muss, weil im Stillegungs-Yoga der Erinnerung kein Platz in der Meditation zukommt. 85 Diese Stufe der Aneignung bezeichnet der Kommentar als ,,hochste Form der Wahrnehmung". - YBh p. 103, 2-4. 86 YBh p. 110, 4-6. 114 Page #18 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Formelemente der Erkenntnis. Gleichzeitig erfolgt auf dieser letzten Stufe auch eine Anderung des Formalobjektes:,,Die Aneignung hinsichtlich der feinen Elemente, sofern diese alle Eigenschaften enthalten, sich allen Eigenschaften anschliessen und in keiner Weise und nirgends weder durch zur Ruhe gekommene (= vergangene) noch manifestierte (= gegenwartige) oder nicht anweisbare (= zukunftige) Eigenschaften bestimmt sind, ist die nirvicara genannte samapattih." Damit ist jedoch lediglich gezeigt, wie diese letzte Stufe der Aneignung ihre Vorstufe hinsichtlich ihres Gegenstandes ubersteigt, nicht aber wie sie formal zur nirvicara samapattih wird. Die formale Dynamik, die diese vierte Stufe der Aneignung als solche erst konstituiert, besteht darin, dass die aneignende Erkenntnis (prajna) lediglich vom Gegenstand erfullt ist und ihrer eigenen (Erkenntnis-)Form gleichsam entleert wurde 37. Aus dieser knappen Analyse der aneignenden Meditation wird deutlich, dass es fur den Aneignungs-Yoga typisch ist, den Gegenstand der Meditation direkt und in moglichster Reinheit auf das meditierende Subjekt einwirken zu lassen, um den Gegenstand in seinem Was" (svarupam) und in seinem,,Woher", d. h. hinsichtlich der ihm ontologisch vorausliegenden Ursachen, deutlich wahrzunehmen. Dies wird neben dem Fixieren der Aufmerksamkeit auf den Gegenstand vor allem dadurch erreicht, dass alle subjektiven Vorstellungen und Assoziationen aus dem meditativen Vorgang ausgeschlossen werden, um so das Erlebnis einer direkten Erfahrung zu haben. Dies wird deutlich, wenn man den Ubergang von der ersten (savitarka) zur zweiten (nirvitarka) Stufe der Aneignung betrachtet. Der Ubergang wird dadurch erreicht, dass Wortvorstellungen und Vorstellungen, die aus Unterweisung und Schlussfolgerung stammen, eliminiert werden. Damit wird aber vorausgesetzt, dass der Gegenstand der Aneignung, wenigstens zum Teil durch Unterweisung und Schlussfolgerung als Objekt der Meditation ermoglicht wird. In den spateren Stufen der Aneignung handelt es sich aber nur noch um Gegenstande, die aus der Unterweisung oder Schlussfolgerung bekannt sind, denn weder die 8* wr 37 YBh 110, 7-111,5. 115 Page #19 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Feinstoffe (tanmatran) noch die grosse Wesenheit (mahan atma) oder die Urmaterie (alingam) sind vor der Meditation der Wahrnehmung zuganglich. Was also auf diesen Stufen der Anbignung Gegenstand der Meditation sein kann, sind nicht bewusstseinsunabhangige Realitaten oder Prinzipien, sondern nur die Vorstellungen dieser Realitaten oder Prinzipien. Durch Ausschaltung der Formelemente der Erkenntnis, scheint es jedoch moglich zu sein, das Erlebnis einer direkten Erfahrung dieser Realitaten selbst zu haben. Mit anderen Worten, die Aneignung erhalt, sofern sie uber in der Sinnlichkeit gegebene Objekte hinausgeht, ihre Gegenstande nur aus einer Philosophie oder Theologie nicht aber aus unmittelbarer Erkenntnis. Damit ist aber die ,,Objektivitat" der. aneignenden Meditation auf ein subjektives Erleben reduziert. Die Aneignung besitzt kein Mittel um die Wahrheit der Erfahrung zu prufen, im Gegenteil durch Ausschaltung der hinsichtlich der ubersinnlichen Objekte einzig moglichen Erkenntnismittel der Unterweisung oder Schlussfolgerung, d. h. jeder Reflexion, liefert sie sich an einen bestimmten Erkenntnisinhalt aus, ohne ihn in seiner Wahrheit beurteilen zu konnen. Selbst wenn Gott zum Objekt der Aneignung gewahlt ware, wurde die in der Aneignung gegebene ,direkte" Erfahrung Gottes keine Erfahrung Gottes, sondern nur der aus irgend einem Begriffssystem bezogenen Vorstellung Gottes sein. Damit scheidet aber die Aneignung als Weg der Mystik aus, wenn man Mystik als direkte Erfahrung Gottes betrachtet. Es lasst sich ausserdem apriori zeigen, dass die Methode der aneignenden Meditation als solche fur eine mystische Erfahrung unbrauchbar ist. Sofern sie namlich darin besteht, einen Erkenntnis-Inhalt zum Objekt der Meditation zu machen, transzendiert sie grundsatzlich nicht auf das jenseits des Seienden liegende Sein, sondern beschrankt sich methodisch auf das Seiende und seine Aneignung. Damit ist sie aber ungeeignet eine direkte Erfahrung Gottes zu vermitteln, sie kann sich im besten Falle immer nur auf die Vorstellung Gottes richten. Versucht man daher die Aneignung in Beziehung zur religiosen Medation zu sehen, so wurde sie am ehesten mit jener Meditation zu vergleichen sein, welche in moglichst ganzheitlicher Schau einen aus dem Glauben gewussten Gegenstand erlebnismassig zu erfassen sucht. Diese Meditation dient der 116 Page #20 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Verlebendigung und Einubung von Glaubensinhalten, kann aber aus sich heraus nicht zu einer mystischen Schau fuhren. Damit darf diese Vorlesung ihr Ende finden. Sie wurde mit einem Wort des Stagiriten begonnen, um im Anschluss daran die abendlandische und indische Vorstellung von Philosophie einander kontrastierend entgegenzustellen. An ihrem Ende mag das Wort eines anderen Denkers abendlandischer Tradition stehen, der, wenn wir seinem Biographen glauben durfen, das Gesprach mit Indiens Philosophie gesucht hat, aber durch das Scheitern des Feldzugs Kaiser Gordians III. gegen Sapor I. von Persien daran gehindert wurde, Plotin: ,,So ist denn Jenes immer anwesend, da in Ihm keine Andersheit ist, wir aber sind bei Jenem, sofern wir uns der Andersheit entaussern. Es ist aber nicht Jenes, das auf uns zustrebt, sodass Es bei uns ware, sondern wir sind es, die nach Jenem verlangen, sodass wir bei Ihm seien. Zwar sind wir immer bei Jenem, doch blicken wir nicht allzeit auf Jenes hin. Wie ein Chor wahrend des Singens den Blick von dem Chorleiter abwenden konnte, auch wenn er um diesen aufgestellt ist, und wenn er sich diesem zuwendet, wieder schon singt und wahrhaft bei ihm ist, so sind auch 'wir immer bei Jenem - anderenfalls wurden wir vollig zugrunde gehen und nicht mehr sein -, doch blicken wir nicht allzeit auf Es hin. Tun wir dies aber, dann haben wir das Ziel erlangt und die Ruhe..." 38 Summary In this paper an attempt has been made to ascertain the structure of yogic meditation as described in the Yogasutras of Patanjali. For this three groups of statements regarding meditation (YS I, 2-18; YS I, 41-50; YS II, 54-III, 7) have been studied in order to see whether they deal with the same type of meditation or with different types which, philosophically speaking, have to be evaluated differently. The result of this study can be thus summarized: Historically speaking two forms of meditation have to be distinguished in the Yogasutras. The samadhih of the Nirodhayoga (YS I, 2-18) and the sama 38 Enn. VI 9, 8, 33-43. 117 Page #21 -------------------------------------------------------------------------- ________________ pattih (YS I, 41-50) whick in contraposition to the former does not differ typologically from the samyamah as described in YS II, 54-III, 7. The samadhih of the Nirodhayoga may possibly be called a ,,natural mysticism", while the samapattih represents only a method to appropriate" existentially a certain belief or truth being a part of a philosophical or theological system. Thus the samapattih having no real object, but only representations and ideas, i. e. finite contents of cognition, cannot be called a mystical experience. The samadhih of the Nirodhayoga on the contrary - not the samadhih of the samyamah - is a meditation of a completely different structure. In it the cognition transcending all finite objects in direction of the ,,Being", which as ,,sky-line" of cognition is a necessary a priori of each act of cognition, reaches this very ,,Being" in a sort of direct experience, since every content of the act of cognition is eliminated, in spite of the fact that this ,,Being" on principle can never become the explicit object of human cognition. 118