Book Title: Die Reihenfolge Und Entstehung Der Werke Dharmakiritis
Author(s): Erich Frauwallner
Publisher: Erich Frauwallner
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ DIE REIHENFOLGE UND ENTSTEHUNG DER WERKE DHARMAKIRTI'S Von E. FRAUWALLNER, Wien Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge der Kapitel im Pramāṇavārttikam, dem Hauptwerk des großen buddhistischen Logikers Dharmakirti', war immer ein Rätsel und hat schon den alten Erklärern Kopfzerbrechen verursacht. Die Tatsachen sind kurz folgende. Das Pramāṇavārttikam ist ein Kommentar zu Dignaga's Pramaņasamuccayaḥ. Dieser behandelt die gesamte Erkenntnislehre in 6 Kapiteln in folgender Reihenfolge: 1. Wahrnehmung (pratyakşam), 2. Schluß (svärthanumanam), 3. Beweis (pararthānumānam), 4. Beispiel und Scheinbeispiel (dṛṣṭānto dṛṣṭāntābhāsas ca), 5. Sonderung von anderem (anyapohaḥ), 6. Falsche Einwände (jätayaḥ). Dazu schrieb Dharmakirti sein Värttikam in 4 Kapiteln. Von diesen erklärt eines ausführlich Wort für Wort den Einleitungsvers Dignaga's. Die übrigen drei behandeln Wahrnehmung, Schluß und Beweis. Das Auffällige ist nun, daß diese 4 Kapitel des Werkes in der Überlieferung eine ganz merkwürdige Reihenfolge aufweisen. Das Natürliche wäre, daß auf das einleitende Kapitel Wahrnehmung, Schluß und Beweis folgten. In Wirklichkeit steht aber an erster Stelle das Kapitel über den 1 Die Werke Dharmakirti's liegen derzeit vor allem in folgenden Ausgaben vor: Pramāṇavärttikam: 1. Pramāṇavärttikam by Acarya Dharmakirti, ed. by Rahula Sănkṛtyayana. Appendix to J. B. O. R. S., Vol. XXIV/1938 (Verstext); 2. Acarya-Dharmakirteḥ Pramanavärttikam (Svarthänumānaparicchedaḥ) svopajñavṛttyä Karnakagomiviracitaya taṭṭikaya ca sahitam, Rahula-Samkṛtyāyanena sampüritam sampaditañ ca. Allahabad (1943); 3. Dharmakirti's Pramāṇavärttika with a commentary by Manorathanandin, ed. by Rahula Sänkṛityāyana. Appendix to J. B. O. R. S., Vol. XXIV/1938ff. Nyayabindub: Nyayabindu, буддiйскiй учебникъ логики, сочиненіе Дармакирти и толкованiе на него Nyayabindutikā, сочиненіе Дармоттары, издаль Ө. И. Щербатской. I. Bibliotheca Buddhica. VII. IIerpoградь 1918, Hetubinduḥ: Ein Rekonstruktionsversuch im Anhang zu: Hetubinduțikä of Bhatta Arcata with the sub-commentary entitled Aloka of Durveka Misra, ed. by Pandit Sukhlalji Sanghavi and Muni Shri Jina vijayaji. Gaekwad's Oriental Series. Nr. CXIII. Baroda 1949. Vädanyayah: Dharmakirti's Vādanyaya, with the Commentary of Santarakṣita, ed. by Rahula Sänkṛtyāyana. Appendix to J. B. O. R. S., Vols. XXI & XXII/1935-36. Sambandhapariksa: Dharmakirtis Sambandhaparikṣā, Text und Übersetzung, von E. Frauwallner. WZKM Bd. 41/1934 (Tibetischer Text mit den erhaltenen Sanskritfragmenten). Samtänäntarasiddhiḥ: Tибетскiй переводь сочиненiй Samtänäntarasiddhi Dharmakirti u Samtänantarasiddhiṭīkā Vinitadeva..., издалъ е. И. Щербатской I-11. Bibliotheca Buddhica. XIX. Петроградъ 1916. - Daneben habe ich die Tanjur-Ausgaben von Narthang und Derge verwendet. 2 Es einfach als 'Chapter on Buddhology' zu bezeichnen, ist unzutreffend. Das zeigt ein Blick auf den Inhalt, wie er sich jetzt in der Inhaltsangabe Rahula Sankṛtyāyana's leicht überblicken läßt. Die tibetische Übersetzung nennt es Pramaņasiddhiḥ. Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge und Entstehung der Werke Dharmakirti's 143 Schluß und erst dahinter Einleitung, Wahrnehmung und Beweis. Das erste Kapitel nach dieser Reihenfolge, also das Kapitel über den Schluß, ist dabei von Dharmakirti selbst kommentiert, die übrigen drei von seinem Schüler Devendrabuddhi. Und zu allen vieren hat der Schüler Devendrabuddhi's und Enkelschüler Dharmakirti's Sākya mati (oder Sākyabuddhi) in der gleichen Reihenfolge einen Subkommentar geschrieben. Diese merkwürdige Anordnung der Kapitel des Werkes ist also in der ältesten Überlieferung fest begründet. Außerdem wird sie durch die späteren Kommentatoren bestätigt, welche sie zu erklären versuchen, somit als gegeben voraussetzen. Es ergibt sich daher die Frage: Was ist die Ursache dieser merkwürdigen Anordnung und warum hat Dharmakirti nur das Kapitel über den Schluß und gerade dieses kommentiert? Mit dieser Frage hat sich vor allem Th. Stcherbatsky im ersten Band seiner Buddhist Logic beschäftigt. Dabei gibt er zunächst kurz einen Vortrag von A. Vostrikov wieder. Er selbst bringt die verschiedenen Erklärungsversuche der späteren indischen Kommentatoren. Davon ist aber von vornherein wenig zu erwarten. Indische Kommentatoren sind gewöhnlich geneigt, bei solchen Dingen die Ursachen in sachlichen Gründen zu sehen. Über die persönlichen Gründe, welche die Verfasser der Werke nur allzu oft bestimmten, konnten sie meist, und so auch im vorliegenden Fall. keine Nachricht haben. Und was sie in dieser Hinsicht vorbringen, besteht daher auch nur aus Vermutungen und hat für uns kein Gewicht. Wir suchen infolgedessen eine Antwort auf die gestellte Frage am besten bei dem, der sie uns am sichersten geben kann, nämlich bei Dharmakirti selbst, das heißt in seinen Werken. Betrachten wir nun das Pramāņavārttikam, so zeigt sich in Anlage und Ausführung ein grundlegender Unterschied zwischen dem ersten und den übrigen drei Kapiteln des Werkes. Die letzten drei sind ein regelrechtes Vārttikam. Sie gehen vom Text Dignāga's, der erklärt werden soll, aus, bringen dazu ausführliche Erläuterungen, knüpfen, wo es nötig ist, auch weiterführende Erörterungen daran und gehen, wenn eine Stelle des Textes besprochen ist, zur nächsten über. So behandelt das 2. Kapitel der Reihe nach die Beiwörter, welche Dignāga in seinem Einleitungsvers dem Buddha gibt, pramāṇabhūtah (v. 1 ff.), jagaddhitaişi (v. 35 ff.), śāstā (v. 132 ff.), sugataḥ (v. 139ff.) und tāyī (v. 145ff.)?. Das 3. Kapitel erläutert Punkt für Punkt Dignāga's Lehre von der Wahrnehmung, so wie sie im 1. Kapitel des Pramāṇasamuccayaḥ dargestellt ist. Es spricht von den zwei Mitteln richtiger Erkenntnis, welche den zweierlei Objekten der Erkenntnis entsprechen (v. 1 ff. = Pr. sam. I v. 2), behandelt die Zurückweisung des Versuchs, weitere Objekte und Mittel richtiger Erkenntnis nachzuweisen (v. 76 ff. = Pr. sam. I v. 2b-3a), erläutert Diese Reihenfolge zeigt sowohl die tibetische Übersetzung, als auch das einzige vollständige Sanskrit-Manuskript (von R. Sankrtyāyana als PH bezeichnet). Th. Stcherbatsky, Buddhist Logic. Vol. I (Bibliotheca Buddhica XXVI). Leningrad 1932. SS. 38f. Dieser Vortrag ist meines Wissens nicht in Druck erschienen. Ich gehe hier nicht weiter auf ihn ein, da Stcherbatsky's Angaben äußerst knapp sind und nur höchst anfechtbare Wahrscheinlichkeitsvermutungen bringen. S. 441. ? Die Verszählung des Pramāņavārttikam bei Rāhula Sankstyāyana ist zwar fehlerhaft, doch folge ich ihr der Einfachheit halber, und zwar halte ich mich für das 1. Kapitel an die Allahabad-Ausgabe des Svārthānumānaparicchedaḥ (oben Nr. 2), für die übrigen Kapitel an die Ausgabe des Verstextes (oben Nr. 1). Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 144 E. Frauwallner Dignaga's Definition der sinnlichen Wahrnehmung (v. 123 ff. Pr. sam. I v. 3b), beantwortet die Frage, warum die Wahrnehmung nach den Sinnesorganen benannt ist (v. 191 ff. Pr. sam. I v. 4a) und so fort bis zu Vers 13 des Pramāņasamuccayaḥ, mit dem Dignaga die Darstellung seiner eigenen Lehre schließt. Ebenso beginnt das 4. Kapitel im Anschluß an das 3. Kapitel des Pramāņasamuccayaḥ mit ausführlichen Erläuterungen der Definitionen des Beweises (v. 1 ff. Pr. sam. III v. 1) und der Behauptung (v. 15 ff. Pr. sam. III v. 2), wobei auch viele Wörter einzeln erklärt werden, bis nach einer zusammenfassenden Darstellung der Lehre vom Grund (v. 189 ff.) das Werk ziemlich unvermittelt endet. Dieses Verhältnis des Pramāṇavārttikam zu Dignāga's Pramāņasamuccayaḥ haben daher auch die alten Kommentatoren gebührend berücksichtigt. Devendrabuddhi führt regelmäßig die Sätze Dignaga's an, auf welche sich die jeweiligen Erklärungen Dharmakirti's beziehen. Dasselbe ist in dem neuveröffentlichten Kommentar Manorathanandin's weitgehend der Fall. Und auch ein so freier Erklärer wie Prajñā karagupta, versäumt nicht, auf diese Beziehungen hinzuweisen. Ganz anders ist demgegenüber das Bild, welches das erste Kapitel des Pramāņavārttikam bietet. Das zeigt sich bereits an seinem Anfang. Es beginnt nämlich mit einem programmatischen Vers, welcher kurz den Gegenstand angibt, der behandelt werden soll, und folgendermaßen lautet: pakṣadharmas tadamsena vyapto hetus tridhaiva saḥ | avinābhavaniyamād dhetvābhāsās tato' pare || 3 Hier fehlt jede Beziehung zum Pramāṇasamuccayaḥ. Das 2. Kapitel des Pramaṇasamuccayah beginnt nämlich mit der Zweiteilung der Schlußfolgerung in Schluß und Beweis und mit der Erklärung des Schlusses. Davon ist aber hier keine Rede. Immerhin könnte man bei diesem Vers an eine Verbindung mit Dignaga denken. Dafür würde sprechen, daß ihn Dharmakirti in seiner Vṛttiḥ ungewöhnlich breit erklärt, daß er die Erklärung des Wortes pakṣadharmaḥ durch Dignaga gegen einen Angriff seines eigenen Lehrers Isvarasena verteidigt, und daß wir den Anfang des Verses als Worte Dignaga's zitiert finden 10. Aber das täuscht. Das Zitat lautet nämlich nach einstimmiger Überlieferung: grähyadharmas tadamsena vyäpto hetuḥ. Gerade.das entscheidende Wort pakṣadharmaḥ ist also darin durch grahyadharmaḥ vertreten. Die Erklärung des Wortes pakṣadharmaḥ durch Dignaga in übertragenem Sinn ist keineswegs an diesen Vers gebunden. Er bringt sie vielmehr im 3. Kapitel des Pramāṇasamuccayaḥ im Anschluß an den bekannten Vers sapakṣe san asan dvedha pakṣadharmaḥ punas tridha | pratyekam asapakṣe ca sadasaddvividhatvataḥ || 8. mit den Worten samudayasya sadhyatvad dharmamätre 'tha dharmini | amukhye 'py ekadeśatvāt sadhyatvam upacaryate || 9 8 Den Rest des Kapitels füllt eine Widerlegung fremder Lehren, welche Dharmakirti in seinem Värttikam nicht berücksichtigt. Von den allgemeinen Einleitungsversen sehe ich hier ab. 10 Vor allem in Uddyotakara's Nyayavärttikam, S. 131, 17 (Ausgabe der Kashi Sanskrit Series) und in Śantirakṣita's Tattvasamgrahah v. 1385. Zum Zitat Uddyotakara's bemerkt Vacaspatimiśra: Dignagasyaiva pradesantarahetulakṣaṇam. Santirakṣita nennt als Quelle Acaryaḥ, womit er in der Regel Dignaga meint. Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge und Entstehung der Werke Dharmakirti's 145 Und Dharmakirti selbst knüpft die gleichen Erläuterungen, die er hier in der Vrttiḥ zum Pramāņavārttikam gibt, ebenso wie die Widerlegung Isvarasena's, im 3. Kapitel des Pramāņaviniscayaḥ (fol. 201b 1 ff. der Ausgabe von Derge) im gleichen Wortlaut an ebendiesen Vers des Pramānasamuccayah. Schließlich weist Dharmakirti mit den Worten tridhaiva saḥ, avinābhāvaniyamāt auf die dreifache Einteilung des Grundes nach den verschiedenen Arten der festen Verbindung hin, also auf eine Lehre, die erst er geschaffen hat und die ihm eigentümlich ist. Der Vers, mit dem Dharmakirti im 1. Kapitel des Pramāņavārttikam seine Darstellung beginnt, stammt also von ihm selbst und weist keinerlei Beziehung zum 2. Kapitel des Pramāṇasamuccayaḥ auf. Wohl lehnt er sich an Worte Dignāga's an. Aber diese sind aus einem andern Werk genommen '1. Warum Dharmakirti diesen Vers so ausführlich erklärt, hat allerdings seinen besonderen Grund, und das ist folgender. Der Vers ist, wie wir bereits gesagt haben, ein programmatischer Vers, der kurz den Inhalt der darauffolgenden Darstellung angibt. Er erinnert in dieser Hinsicht an śāstraśarīra-Verse, wie den, mit dem Maitreyanātha seinen Madhyāntavibhāgaḥ einleitet 118. Ähnliches finden wir bei Dharmakirti auch sonst. Am Anfang des Vādanyāyaḥ steht ein solcher programmatischer Vers, obwohl das ganze übrige Werk in Prosa geschrieben ist. Und vor allem der Hetubinduḥ, der auch in Prosa abgefaßt ist, ist gleichfalls mit einem solchen Vers eingeleitet, und zwar ist es eben unser Vers aus dem 1. Kapitel des Pramāņavārttikam, der hier als programmatischer Einleitungsvers dient. Dieses Beginnen mit einem programmatischen Vers, sowie das Fehlen jeglicher Beziehung auf den Pramāṇasamuccayaḥ bedeutet bereits einen grundsätzlichen Unterschied des 1. Kapitels von den übrigen Kapiteln des Pramāņavārttikam. Die gleiche Verschiedenartigkeit zeigt sich aber auch in der übrigen Darstellung. Diese verläuft etwa folgendermaßen". Nach der ausführlichen Erklärung der ersten Worte des programmatischen Verses, die so weit reicht, wie die Anlehnung an die oben angeführten Worte Dignāga's, beginnt Dharmakirti mit einer ausführlichen Darstellung seiner Lehre von den verschiedenen Arten des Grundes. Es gibt 3 Arten des Grundes, das eigene Wesen (svabhāvah), die Wirkung (kāryam) und Nichtwahrnehmung (anupalabdhiḥ). Denn bei diesen dreien, und zwar nur bei ihnen, besteht eine feste Verbindung (avinābhāvah) zwischen Grund und Folge. Im ersten Fall beruht sie auf der Wesensgleichheit der beiden. Rasch wird die Frage aufgeworfen, wieso bei Wesensgleichheit zwischen Grund und Folge unterschieden werden kann, und dahin beantwortet, daß es sich dabei um Begriffe handelt, denen dasselbe Ding zugrunde liegt. Im zweiten Fall beruht die feste Verbindung darauf, daß die Wirkung aus der Ursache entsteht und ohne sie nicht möglich ist. Wieder wird kurz die Frage aufgeworfen und beantwortet, wieso eine solche Schlußfolgerung, wenn sie es nur mit Begriffen zu tun hat, eine 11 Man möchte die Quelle gerne in Dignāga's Hetumukham sehen. Aber bei dem derzeitigen Stand unseres Wissens bleibt das eine bloße Vermutung. 118 Eine genaue Entsprechung bietet der einleitende Vers zum Nyāyapraveśakasūtram Sankarasvāmin's, der den sastrarthasamgrahah gibt. 12 Ich muß darauf genauer eingehen, da die Inhaltsangaben Rāhula Sanktyāyana's fehlerhaft und irreführend sind. 10 Asiatica Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 146 E. Frauwallner Erkenntnis der wirklichen Dinge vermitteln kann. Dann wird die Beschaffenheit der drei Arten des Grundes genauer bestimmt, der Wirkung (v. 4 a) des eigenen Wesens (v. 4b) und vor allem der Nichtwahrnehmung (v. 5–8), von der mehrere Abarten unterschieden werden. Als nächstes folgt die Besprechung einiger Sonderfälle und ihre Einordnung unter die aufgezählten drei Arten des Grundes (v. 9-13). Im Zusammenhang damit ergibt sich die Erkenntnis, daß die bloße Nicht wahrnehmung der Folge im Ungleichartigen (vipaksah) nicht ausreicht, um die Verbindung zwischen Grund und Folge zu gewährleisten, sondern daß dazu der Nachweis einer festen Verbindung der genannten Art unerläßlich ist, und das führt zu einer längeren Auseinandersetzung, in deren Verlauf Dharmakirti seine Ansicht auch durch Sätze Dignāga's zu stützen sucht (v. 14-32). Mit der abschließenden Feststellung, daß somit jede Schlußfolgerung auf einer solchen festen Verbindung beruhen muß, geht Dharmakirti nun dazu über, sich mit den einzelnen Arten des Grundes eingehender auseinanderzusetzen. Er beginnt mit der Wirkung (v. 33ff.). Es folgt die Besprechung des eigenen Wesens (v. 41 ff.), welche den Anlaß zu einer ausführlichen Darstellung der Lehre vom Begriff und seiner Grundlage, der Sonderung von anderem (anyāpohah), gibt (v. 42–186). Den Abschluß bildet die Behandlung der Nicht wahrnehmung (v. 199ff.). In ihrem Verlauf wird das Problem der Sprache angeschnitten und das veranlaßt eine breite Erörterung der Glaubwürdigkeit der Überlieferung und aller damit zusammenhängenden Fragen, welche den Rest des Kapitels füllt (v. 215-342). Im einzelnen wirkt der Aufbau dieser Darstellung ziemlich wirr. Eines aber zeigt sich klar und deutlich. Sie besteht nicht aus einzelnen Abschnitten, welche sich an bestimmte Verse Dignāga's anschließen, sondern sie gibt einen fortlaufenden Zusammenhang, in dem sich ein Gedanke an den andern reiht. Wohl werden gelegentlich Sätze Dignāga's angeführt, aber diese sollen der Bestätigung der vorgetragenen Lehre dienen und ihre Übereinstimmung mit Dignāga erweisen. Den Ausgangspunkt und die Grundlage der Darstellung bilden sie nicht. Das zeigt besonders deutlich der Abschnitt, in dem die bloße Nicht wahrnehmung der Folge im Ungleichartigen als unzureichend für die Begründung der Verbindung zwischen Grund und Folge nachgewiesen wird (v. 14—32). Dabei stammen die angeführten Sätze Dignāga's nur zum Teil aus dem 2. Kapitel des Pramāṇasamuccayah. Karņakagomin nennt vielmehr wiederholt das Nyāyamukham als Quelle (S. 58, 78 und 79). Von einem Anschluß der Darstellung an den Pramāṇasa muccayaḥ kann also keine Rede sein. Und tatsächlich weist auch weder Dharmakirti in seinem eigenen Kommentar noch Karnaka gomin in seinem Subkommentar auf eine solche Zusammengehörigkeit hin, ganz im Gegensatz zu den übrigen Kapiteln, wo diese Zusammengehörigkeit von den Kommentatoren ausdrücklich hervorgehoben wird. Es zeigt sich also, daß das erste Kapitel des Pramāņavārttikam in Anlage und Aufbau ein ganz anderes Werk ist, als die übrigen Kapitel, und daß es mit dem Pramāņasamuccayaḥ Dignāga's in keinem Zusammenhang steht. Ja, genau betrachtet, paßt es auch seinem Inhalt nach gar nicht in den Rahmen, in den es gestellt ist. Als Teil des Pramāņavārttikam und Kommentar zum 2. Kapitel des Pramāṇasamuccayaḥ müßte es nämlich die Lehre vom Schluß behandeln. In Wirklichkeit ist das aber nicht der Fall. Es behandelt vielmehr nur die Lehre vom Grund. Eigentlich Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge und Entstehung der Werke Dharmakirti's 147 ist das schon im programmatischen Vers gesagt, der lediglich eine Darstellung der Lehre vom Grund ankündigt. Die durchschlagende Bestätigung bringt aber ein Vergleich mit Dharmakirti's Pramāņaviniscayaḥ. Dieser ist ein jüngeres Werk, wie zahlreiche Verweise auf das Pramāņavārttikam zeigen. In ihm hat Dharmakirti seine Lehre, die er im Pramāņavārttikam im Anschluß an Dignāga vorgetragen hatte, zu einer selbständigen zusammenhängenden Darstellung zusammengefaßt. Die Darstellung des Pramāņavārttikam bildet dabei die Grundlage und ist in weitestem Maße benützt. Zahlreiche Verse und ganze Abschnitte der Vrttih sind wörtlich übernommen. Die Änderungen beschränken sich im allgemeinen auf einzelne Verbesserungen und Ergänzungen. Während nun Kapitel 1 und 3, welche von der Wahrnehmung und vom Beweis handeln, den entsprechenden Kapiteln 3 und 4 des Pramāņavārttikam in großen Zügen ohne wesentliche Änderung folgen, ist das bei Kapitel 2, welches vom Schluß handelt, anders. In ihm wird zunächst im Anschluß an die Anfangsverse Dignāga's im 2. Kapitel des Pramāṇasamuccayaḥ von den 2 Arten der Schlußfolgerung und vom Wesen der Schlußfolgerung für sich selbst (svārthānumānam) gesprochen. Dann wird die bei Dignāga so breit behandelte, im 1. Kapitel des Pramāņavārttikam nur kurz gestreifte Lehre von den 3 Merkmalen des Grundes erörtert, wobei zahlreiche Verse aus dem 4. Kapitel des Pramāņavārttikam verwertet sind (Pr. vart. IV v. 190—194 und 223-236). Und dann folgt erst, was im 1. Kapitel des Pramāņavārttikam den Hauptgegenstand ausmacht, die Lehre von der festen Verbindung zwischen Grund und Folge und von den darauf beruhenden 3 Arten des Grundes. Dabei ist die mangelhafte Disposition des älteren Werkes verbessert und die zerrissene Darstellung zusammengezogen. Auf einige kurze Bemerkungen über die 3 Arten des Grundes und über die feste Verbindung bei der Wirkung und beim eigenen Wesen, welche aus dem Anfang der Pramāņavārttikavrttiḥ übernommen sind (vgl. oben S. 145 1.), folgt eine ausführliche Behandlung der Nichtwahrnehmung im Anschluß an Pr. vārt. I v. 6-8, 201 und 203 und die dazugehörigen Stücke der Vrttih). An sie ist die Erörterung der Frage der Überlieferung geknüpft. Daran schließt sich die Besprechung des eigenen Wesens (nach Pr. vārt. I v. 4b, 188, 194—198 und Vșttiḥ) und der Wirkung (nach Pr. vārt. I v. 4, 36-40, 33-35 und Vrttih). Den Abschluß bildet die Erörterung des Nachweises der festen Verbindung zwischen Grund und Folge, der sich nicht bloß auf die Nichtwahrnehmung im Ungleichartigen stützen darf (nach Pr. vārt. I v. 15-32 und Vșttih). Im Pramāņaviniscayaḥ ist also im Vergleich zum 1. Kapitel des Pramāņavārttikam der Stoff besser und straffer geordnet. Vor allem aber hat er am Anfang wichtige Ergänzungen erfahren. Und diese Ergänzungen sind es, welche daraus erst eine vollständige Darstellung der Lehre vom Schluß machen und wenigstens eine flüchtige Beziehung zu dem entsprechenden Kapitel des Pramāṇasamuccayaḥ herstellen. Gerade daß Dharmakirti es nötig fand, diese Ergänzungen vorzunehmen, zeigt aber mit voller Deutlichkeit, daß die Darstellung im 1. Kapitel des Pramāņavārttikam mangelhaft war und nicht das enthielt, was ein Värttikam zum Pramāņasamuccayaḥ hätte enthalten müssen. Es bestätigt sich somit, was wir oben gesagt haben, daß dieses Kapitel in Anlage und Aufbau ein ganz anderes Werk ist, als die übrigen Kapitel des Pramāņavārttikam und daß es mit dem Pramanasa muccayaḥ Dignaga's in keinerlei Zusammenhang 10° Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 148 E. Frau wallner steht. Das heißt, es ist überhaupt kein Värttikam zu Dignāga, sondern ein selbständiges Werk über die Lehre vom Grund, das nur äußerlich mit den echten Kapiteln des Pramāņavārttikam vereinigt ist. Wie kam aber Dharmakirti dazu, dieses Werk mit den übrigen Kapiteln zu verbinden? Darauf gibt es meines Erachtens nur eine Antwort. Es ist vollkommen unvorstellbar, daß Dharmakirti bei der Arbeit am Pramāņavārt tikam nach der Behandlung der Wahrnehmung abbrach, die Lehre vom Schluß ausließ und sofort die Lehre vom Beweis ausarbeitete, um später ein selbständiges Werk über den Schluß zu schreiben. Dagegen wird alles klar, wenn wir annehmen, daß dieses Werk bereits vorlag, als er an die Arbeit am Pramāņavārttikam ging. Dann ist es verständlich, daß er, als er zur Lehre vom Schluß kam und etwas behandeln sollte, was anderweitig bereits gesagt war, davon absah und sich dem Kapitel vom Beweis zuwandte, das vollkommen neu geschrieben werden mußte. Und ebenso ist es verständlich, daß er bei der abschließenden Redaktion des Pramänavårttikam dieses ältere Werk nicht einfach unter die übrigen Kapitel einreihte, sondern an die Spitze stellte. Damit haben wir die Frage beantwortet, von der wir ausgegangen sind. Die eigentümliche Reihenfolge der Kapitel im Pramāņavārttikam erklärt sich also dadurch, daß das außerhalb der Reihenfolge stehende Kapitel über den Schluß ursprünglich ein selbständiges Werk war, das Dharmakirti erst nachträglich mit dem eigentlichen Pramāņavārttikam vereinigte. Gleichzeitig erklärt sich ungezwungen, warum nur zu diesem Kapitel ein Kommentar Dharmakirti's vorliegt. Jenes selbständige Werk bestand offenbar von Anfang an aus einem Verstext mit Kommentar. Zum Pramanavārttikam selbst hat Dharmakirti nie einen Kommentar geschrieben. Aber nicht nur diese einzelne, verhältnismäßig untergeordnete Frage ist damit beantwortet. Auch weitere Erkenntnisse sind damit gewonnen. Wir haben gesehen, daß das Pramāņavārttikom nicht das erste Werk Dharmakirti's war, sondern daß er vorher ein eigenes Werk über die Lehre vom Grund geschrieben hatte. Wir haben ferner gesehen, wie dieses Werk die Abfassung des Pramāņavārttikam beeinflußte und später mit ihm vereinigt wurde. Und so scheint sich hier die Möglichkeit zu bieten, einen Blick in das Schaffen Dharmakirti's und in die Entstehung seiner Werke zu tun. Das lockt aber zu versuchen, ob sich auf diesem Weg nicht noch weiter gelangen läßt. Und tatsächlich ist das auch der Fall. Was wir über das 1. Kapitel des Pramāņavārttikam als ursprünglich selbständiges Werk und über seine nachträgliche Vereinigung mit den übrigen Kapiteln des Pramāņavārttikam festgestellt haben, drängt nämlich unmittelbar zur nächsten Frage, wieso Dharmakirti sich an einer so äußerlichen Verbindung genügen ließ, warum er das ältere Werk nicht umarbeitete und den übrigen Kapiteln des Pramänavārttikam anpaßte, ähnlich wie er es später im Pramāņaviniscayah tat. Auch diese Frage läßt sich beantworten, und zwar ist die Ursache, wie ich glaube, darin zu suchen, daß das Pramänavārttikam nie vollendet wurde. Dafür spricht folgendes. Das Pramanavärttikam beginnt überaus breit. 186 Verse (Pr. vārt. II) sind der Einleitungsstrophe Dignāga's gewidmet, 541 Verse (Pr. vart. III) der Erörterung der Wahrnehmung, die bei Dignāga 13 Verse umfaßt. Ebenso breit ist der Anfang der Besprechung des Beweises gehalten (Pr. vart. IV v. 1-188). Dann erklärt Dharma kirti aber plötzlich, er wolle des leichten Verständnisses halber die Lehre vom Grund kurz zusammengefaßt behandeln (v. 189). Das geschieht in 96 Versen. Dann Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge und Entstehung der Werke Dharmakirti's 149 schließt das Werk. Hier ist die summarische Behandlung der wichtigen Lehre vom Grund auffallend. Ebenso auffallend ist aber auch der plötzliche Schluß des Werkes. Denn Dignäga's Pramānasamuccayah geht weiter und behandelt noch eine ganze Reihe wichtiger Gegenstände. Daß Dharmakirti aber diese Gegenstände nicht behandelte, weil er sie für überflüssig hielt, ist ausgeschlossen. Das beweist wieder eindeutig der Vergleich mit dem Pramāņaviniscayaḥ. Das 3. Kapitel des Pramāņaviniscayaḥ, welches dem 4. Kapitel des Pramāņavärttikam entspricht, beginnt wie dieses im Anschluß an den Pramānasa muccayah mit der Lehre von der Behauptung (pakşah) und gibt den größten Teil der Darstellung des Pramanavārttikam (bis v. 135) ziemlich genau wieder. Dann wird die Lehre vom Grund ebenso wie im Pramänavārttikam (v. 189) mit der Bemerkung eingeleitet. daß sie des leichteren Verständnisses wegen zusammenfassend behandelt werden soll. Hier wie dort wird der Darstellung Dignāga's Tafel der 9 Gründe (het ucakrah) zugrunde gelegt (Pr. sam. III v. 8f.). Für Dharmakirti selbst ist dabei charakteristisch, daß er seine Lehre von den 3 Arten des Grundes in Dignāga's Tafel der Gründe hineinzudeuten sucht. Das tut er in einer Art von programmatischem Vers (Pr. vart. IV v. 195), den er im Pramāņaviniscayaḥ wie im Pramāņavārttikam 13 an die Spitze seiner Ausführungen stellt. Auch diese folgen der Darstellung des Pramāņavārttikam, und zwar übernimmt er daraus sowohl die Auseinandersetzung über Wirkung und eigenes Wesen (Pr. vart. IV v. 196-204), wie auch die Besprechung der Nichtwahrnehmung (Pr. vart. IV v. 265-279). Damit ist aber die Übereinstimmung mit dem 4. Kapitel des Pramānavārttikam zu Ende. Zunächst schiebt er noch zwei Erörterungen ein, die aus dem 1. Kapitel des Pramāņavārttikam genommen sind, die Frage, ob durch die Schlußfolgerung das Sein eines Dinges bewiesen werden kann (Pr. vart. I v. 207-214 und 189-193), und den Nachweis, daß es neben den besprochenen 3 Arten des Grundes keine weitere Form der festen Verbindung gibt (Pr. vart. I v. 9–12). Dann beginnt jedoch ein ganz neuer Abschnitt, der breit die Lehre von den Scheingründen (hetvābhāsāh) behandelt. Den Anfang bildet wieder ein programmatischer Vers: ekāprasiddhisamdehe 'prasiddhavyabhicārabhāk dvayor viruddho 'siddhau vā samdehe vyabhicārabhāk ||" Dann werden der Reihe nach die verschiedenen Arten von Scheingründen besprochen, der nichterwiesene (asiddhah), der nichtzwingende (anaikāntikaḥ) und der widersprechende (viruddhah). Den Abschluß bilden einige Bemerkungen über Beispiel (drstāntah) und Mängel des Beispiels (drstāntadoşāh), und über Widerlegung (dūşanam) und falsche Einwände (jātayaḥ). Auch hier ist Material aus dem Pramāņavārttikam verwendet, aus dem 4. Kapitel bei der Behandlung des nichterwiesenen Grundes (Pr. vart. IV v. 181–188) und des nicht zwingenden Grundes (Pr. vart. IV v. 206-222 und 237–244), gelegentlich auch aus anderen Kapiteln (z. B. Pr. vart. II v. 11–19). Aber im wesentlichen ist die Darstellung im Aufbau wie im Inhalt neu. Dharma kirti hat also im 3. Kapitel des Pramānaviniscayah die Darstellung des Pramāņavārttikam geändert und bedeutend erweitert. Im allgemeinen können wir 13 Es ist bezeichnend, daß hier, wo das eigentliche Värttikam zum Ende ist, wieder ein programmatischer Vers erscheint. 14 Erhalten in Santiraksita's Vādanyāyaţikā S. 142. Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 150 E. Frauwallner sagen: Soweit das eigentliche Vārttikam zu Dignāga reicht, folgt er ihm ohne nennenswerte Anderungen. Die summarische Behandlung des Grundes hat er etwas erweitert und ergänzt. Dann aber hat er darüber hinaus eine ausführliche Darstellung der Scheingründe hinzugefügt. Das beweist, daß er die Darstellung des Pramāņavārttikam für unvollständig ansah und Ergänzungen für nötig hielt. Dabei ist es ausgeschlossen, daß er die neu aufgenommenen Gegenstände bei der Abfassung des Pramāņavārttikam als überflüssig beiseite ließ. Denn Dignāga hat sie behandelt und sie sind sachlich wichtig. Besonders deutlich spricht in dieser Hinsicht der Umfang der einzelnen Abschnitte im Pramāna vārt tikam und im Pramanaviniscayah. Die Lehre von der Behauptung umfaßt im Pramanavārttikam 188 Verse, die Lehre vom Grund 97 Verse, die Lehre von den Scheingründen ist nur nebenher berührt. In der tibetischen Übersetzung des Pramānaviniscayah nimmt dagegen jeder dieser 3 Abschnitte rund 14 Blätter ein. Die Darstellung ist also fast auf das Doppelte angewachsen. Es bleibt somit zur Erklärung dieses Sachverhaltes nur die eine Annahme übrig, daß Dharmakirti das Pramāņavārttikam nicht vollendete, sondern die Arbeit daran vorzeitig abbrach. Damit erklärt sich aber auch die äußerliche Anfügung des älteren Werkes. Wenn er die Arbeit am Pramāņavārttikam selbst unvollendet liegen ließ, hatte er begreiflicherweise keine Lust, die an sich wenig erfreuliche Umarbeitung des älteren Werkes durchzuführen. Und ebenso wie er jenes mit der summarischen Behandlung des Grundes kurzerhand abschloß, begnügte er sich hier damit, das ältere Werk rein äußerlich mit dem Pramāņavārttikam zu verbinden 15. Die Beobachtungen an dem älteren Werk und die an den übrigen Kapiteln des Pramāņavārttikam legen also die gleiche Erklärung nahe und bestätigen sich daher gegenseitig. Was Dharmakirti veranlaßte, das Pramänavärttikam unvollendet zu lassen, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Immerhin ergeben sich einige Anhaltspunkte. Das Werk war von Anfang an so breit angelegt, daß es ins Ungemessene zu wachsen drohte. Außerdem brachte es der enge Anschluß an die Worte Dignaga's mit sich, daß dieselben Gegenstände wiederholt berührt werden mußten. Wir finden daher mehrfach Erörterungen desselben Gegenstandes über verschiedene Stellen des Werkes verstreut, was sich bei der Durcharbeitung unangenehm fühlbar macht. Auch Dharmakirti scheint das als lästig empfunden und das Bedürfnis gefühlt zu haben, seine Anschauungen unabhängig von Dignāga zusammenhängend vorzutragen. Tatsache ist jedenfalls, daß er im Pramāņaviniscayaḥ eine solche selbständige Darstellung gab, in der alle jene Wiederholungen des Pramāņavārttikam vermieden und, wo es wünschenswert war, die verstreuten Verse desselben in einen Zusammenhang vereinigt sind. Schließlich muß auch folgendes berücksichtigt werden. Die Anfangs- und Schlußverse des Pramāņavārttikam sprechen eine tiefe Enttäuschung und Verbitterung aus. Er beginnt mit den Worten (Pr. vārt. I v. 2): prāyaḥ prākstasaktir apratibalaprajño janah kevalam nānarthy eva subhāṣitaih parigato vidvesty apirsyāmalaih | tenāyam na paropakāra iti nas cintäpi cetas ciram sūktābhyāsavivardhitavyasanam ity atrānubaddhasp?ham || 15 Damit steht natürlich die Vornahme kleinerer redaktioneller Änderungen nicht im Widerspruch. Als solche sind z. B. die Verweise auf die übrigen Kapitel des Pramāņavārttikam zu betrachten. Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge und Entstehung der Werke Dharmakirti's 151 ,,Im allgemeinen hängen die Menschen am Gewöhnlichen, ihr Verständnis ist unzulänglich, und nicht nur, daß sie sich um treffende Aussprüche nicht kümmern, vom Laster des Neides erfüllt bezeigen sie noch Haß. Darum denke ich gar nicht daran, daß dieses (Werk) andern nützen soll. Aber durch die lange Beschäftigung mit treffenden Aussprüchen ist in mir eine Vorliebe dafür geweckt worden, und so hängt mein Herz daran."16 Und zum Schluß heißt es (Pr. värt. IV v. 286): anadhyavasitāvagahanam analpadhiśaktināpy adṛṣṭaparamarthatattvam adhikabhiyogair api | matam mama jagaty alabdhasadṛśapratigrahakam prayasyati payonidheḥ paya iva svadehe jaram || ,,Meine Lehre, deren Tiefe auch bei nicht geringer Geisteskraft nicht zu erfassen ist, deren wahrer Gehalt auch bei ungewöhnlichen Bemühungen nicht zu erschauen ist, wird, ohne in der Welt jemand zu finden, der geeignet wäre, sie aufzunehmen, gleich dem Wasser1 des Meeres in sich selbst altern." Sein Werk hat also nicht den Beifall gefunden, den er sich erwartete 18. Und so mag auch diese Enttäuschung dazu beigetragen haben, daß Dharmakirti die allzubreit angelegte, ihm allmählich zur Last werdende Arbeit am Pramāṇavārttikam aufgab und daran ging, ein neues, kürzeres und doch wirkungsvolleres Werk zu schreiben, den Pramāṇaviniścayaḥ. Unsere Feststellungen über die Beschaffenheit des Pramāṇavārttikam und über sein Verhältnis zum Pramāņaviniścayaḥ geben uns also die Möglichkeit, uns von der Entstehung der Hauptwerke Dharmakirti's und ihrer Beziehung zueinander ein ziemlich klares Bild zu machen. Aber auch die meisten seiner übrigen Werke lassen sich in diesen Rahmen einordnen. Was zunächst seinen kurzen Leitfaden der Erkenntnistheorie und Logik, den Nyāyabinduḥ betrifft, so gehört er offensichtlich in die Nähe des Pramāṇaviniścayaḥ. Er bringt wie dieser den Stoff in 3 Kapitel geteilt. Und auch im einzelnen in der Gestaltung des Stoffes schließt er sich am nächsten an ihn an. So beginnt das 2. Kapitel wie im Pramāṇaviniścayaḥ, aber im Gegensatz zum Pramāṇavārttikam (vgl. oben S. 147) mit der Einteilung der Schlußfolgerung in Schluß und Beweis (Ny. b. II, 1-2), bringt eine Definition des Schlusses (II, 3-4), bespricht die 3 Merkmale des Grundes (II, 5-10) und geht dann erst zur ausführlichen Darstellung der 3 Arten des Grundes über. Vor allem aber findet der ganze lange Abschnitt über die Scheingründe, den Dharmakirti über das Pramāṇavārttikam hinaus in den Pramāṇaviniscayaḥ aufgenommen hat (vgl. oben S. 149), hier im 3. Kapitel seine genaue Entsprechung (Ny. b. III, 57-141). Ja die meisten Sütren dieses Abschnittes entsprechen wortwörtlich Sätzen aus dem Pramāņaviniś 16 Die zweite Deutung, die Karnakagomin gibt, ist gekünstelt und unwahrscheinlich. 17 Die Ersetzung von payah durch sarit, welche Stcherbatsky vorschlägt, verdirbt den Sinn. Das Wasser eines Flusses wird vom Meer aufgenommen, aber das Wasser des Meeres nimmt niemand auf. 18 Daß sich Dharmakirti nur langsam durchsetzte und der Erfolg erst spät eintrat, bestätigt übrigens auch das Zeugnis des chinesischen Pilgers Yi-tsing, der in den Jahren 675 bis 685 in Nālandă studierte. Yi-tsing kennt Dharmakirti und weiß, daß er nach Dignāga einen weiteren Fortschritt der Logik herbeiführte (Nan hai ki kouei nei fa tchouan, T 2125, k. 4, p. 229b 20; in der Übersetzung von J. Takakusu S. 182). Aber die Werke, welche nach seinen Mitteilungen in Nālandā dem Studium der Logik zugrunde gelegt wurden, waren ausschließlich Werke Dignaga's. Von Dharmakirti war nicht ein einziges darunter (T 2125, k. 4, p. 230 a 6f.; bei Takakusu S. 186f.). Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 152 E. Frauwallner cayaḥ. Der Zusammenhang ist also unverkennbar. Dabei ist der Nyāyabinduḥ natürlich das jüngere Werk. Denn die Abfassung eines solchen Leitfadens setzt die Schöpfung des Systems voraus, aus dem er den Auszug gibt. Und begreiflicherweise lehnt sich Dharmakirti dabei an das Werk an, in dem er seinem System die abschließende Form gegeben hatte, an den Pramāṇaviniscayaḥ. Neben dem Nyāyabinduḥ steht der Hetubinduḥ. Daß er in die gleiche Zeit gehört, zeigt schon der Name, der ihn als Gegenstück zum Nyāyabinduḥ kennzeichnet, so wie Dignaga neben seinem Nyayamukham ein Hetumukham geschrieben hatte. Überdies ist in ihm der Pramāņaviniścayaḥ erwähnt. Er ist also jünger als dieses Werk, was gleichzeitig wieder die Datierung des Nyayabinduḥ bestätigt. Im Hetubinduḥ greift Dharmakirti das Thema seines ältesten Werkes, des 1. Kapitels des Pramāṇavārttikam wieder auf, nämlich die Lehre von den 3 Arten des Grundes. Er stellt den gleichen programmatischen Vers an die Spitze, mit dem er dort seine Ausführungen begonnen hatte. Aber er behandelt den Gegenstand hier systematisch in straffer Ordnung, ohne sich in fernerliegende Probleme zu verlieren. Schließlich möchte ich in diesen Zusammenhang noch den Vadanyāyaḥ stellen, der eines der spätesten Werke Dharmakirti's zu sein scheint. In ihm setzt sich. Dharmakirti mit der Nyaya-Lehre von den Gründen der Niederlage (nigrahasthānāni) auseinander, und zwar legt er zunächst seine eigene Auffassung dar und widerlegt dann ausführlich die gegnerischen Lehren. Damit geht er über den Rahmen der bisher von ihm behandelten Gegenstände hinaus. Denn die Gründe der Niederlage hatte er weder am Ende des Pramāṇaviniścayaḥ noch des Nyayabinduḥ erwähnt, obwohl dort der geeignete Platz dafür gewesen wäre. Ferner setzt seine Darstellung sein eigenes voll entwickeltes System voraus, was für eine späte Abfassungszeit spricht. Neu ist auch die eingehende und überlegene Art, mit der er sich mit den gegnerischen Lehren auseinandersetzt. Damit haben wir, von zwei kleineren Schriften, der Sambandhaparikṣā und der Samtänäntarasiddhiḥ abgesehen, alle logisch und erkenntnistheoretischen Werke Dharmakirti's erwähnt. Fassen wir nun die Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchung zusammen, so läßt sich von seinem Schaffen und der Entstehung seiner Werke etwa folgendes Bild zeichnen. Das älteste Werk Dharmakirti's war eine Schrift über die Lehre vom Grund, ich will sie Hetuprakaraņam nennen, die er später als 1. Kapitel in das Pramaņavärttikam aufnahm. In ihr hatte er das niedergelegt, was seinen wesentlichsten Beitrag zur Lehre vom Grund ausmacht, die Lehre von der festen Verbindung (avinābhāvaḥ) und den darauf beruhenden 3 Arten des Grundes. Sie trägt die Züge einer Jugendarbeit. Das zeigt der Reichtum an neuen Gedanken, die sich in ihr drängen, und die zu immer neuen Abschweifungen verleiten. Dabei ist aber alles noch wirr und unausgereift. Als nächstes faßte er den Entschluß, einen umfassenden Kommentar zu Dignaga's Pramāņasamuccayaḥ zu schreiben, das Pramāṇavārttikam. Er begann das Werk im größten Stil. Ausführlich erläuterte er die Worte Dignaga's und erörterte eingehend alles, was damit zusammenhing. Es war eine überraschende Fülle von Gedanken, die er in den Rahmen des Werkes zusammendrängte. Aber allmählich 10 gźan-yan-tshad-ma-rnam-par-gtan-la-dbab-par-dpyad-zin-to (fol. 250 a 5 der Ausgabe von Derge; vgl. Arcata's Hetubinduṭīkā S. 191). Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Die Reihenfolge und Entstehung der Werke Dharmakirti's 153 ermattete er. Er hatte sich zu viel vorgenommen. Das Werk wuchs unter seinen Händen ins Ungemessene. Auch beengte ihn die Bindung an die Worte Dignāga's. Immer wieder sah er sich genötigt auf Dinge zurückzukommen, die schon einmal in anderem Zusammenhang besprochen waren, wodurch die Darstellung zerrissen und unübersichtlich wurde. So mußte es ihm, der doch so viel Eigenes zu sagen hatte, immer wünschenswerter erscheinen, seine Gedanken selbständig, ohne Rücksicht auf einen fremden Grundtext vorzutragen. Schließlich kam zu allem noch die Enttäuschung über das Ausbleiben des erhofften Erfolges. Soviel er auch Neues brachte, der Widerhall blieb aus. So faßte er denn kurz seinen Entschluß. Den Kommentar zum Einleitungsvers Dignāga's und zum Kapitel über die Wahrnehmung hatte er breit ausgeführt. Das Kapitel über den Schluß hatte er zunächst beiseite gelassen, weil darin zu viel zu wiederholen war, was er bereits im Hetuprakaraṇam gesagt hatte. Augenblicklich arbeitete er gerade am Kapitel über den Beweis. Nun machte er kurz ein Ende. Die Lehre vom Grund, die nicht wegbleiben konnte, faßte er noch in einer knappen Darstellung kurz zusammen. An Stelle des fehlenden Kapitels über den Schluß stellte er sein altes Hetuprakaranam an die Spitze des Werkes. Und mit ein paar bitteren Versen am Anfang und am Ende machte er einen Strich unter dieses Werk, das so kühn geplant und so hoffnungsvoll begonnen worden war. Nochmal machte er sich an ein großes Werk, das nun seine eigene Lehre selbständig darstellen sollte, den Pramāņaviniscayaḥ. Dabei verwendete er in weitestem Maße den Stoff seiner älteren Werke, aber er formte ihn neu. Er gliederte die ganze Darstellung in 3 Abschnitte, Wahrnehmung, Schluß und Beweis. War das Pramānavārttikam in Versen abgefaßt, so schrieb er das neue Werk in Prosa mit eingestreuten Versen. Davon ist nur ein kleiner Teil neu. Die meisten übernahm er aus dem Pramanavārttikam. Ganze Abschnitte des älteren Werkes löste er in Prosa auf. Auch aus der Vșttiḥ zum Hetuprakaraṇam sind große Stücke übernommen. Aber die Gliederung ist straff und übersichtlich. Wiederholungen sind vermieden, Zerstreutes vereinigt. Wo es notwendig schien, sind Ergänzungen und Verbesserungen angebracht. Ja manche Abschnitte sind auch ganz neu geschrieben. So entstand denn ein neues wertvolles Werk, das die formlose Fülle des Pramāņavārttikam zu einem reichen, aber wohlgeordneten und gegliederten Ganzen vereinigte, in Form und Inhalt ein unerreichtes Meisterwerk. Mit dem Pramāņaviniscayaḥ hatte Dharmakirti's Schaffen seinen Höhepunkt erreicht. Sein Lehrgebäude war damit im wesentlichen vollendet. Die nächste Arbeit galt den Bedürfnissen der Schule. Er hatte nun einen Kreis von Schülern um sich gesammelt und zu ihrer Belehrung erwies sich ein knappes Handbuch als notwendig, wie sie in Indien immer gebräuchlich waren, um dem mündlichen Unterricht als Grundlage zu dienen. Die bisher verwendeten Handbücher dieser Art, wie das Nyaya praveśakasütram des Sankarasvāmin, konnte er nicht verwenden, da seine Lehre weit darüber hinausging. So schrieb er denn den Nyāyabinduh, in dem er die Lehren des Pramanaviniscayaḥ schlagwortartig zusammenfaßte. Wie diese Arbeit für die Schule zeigt, hatte sich nun doch allmählich ein Erfolg eingestellt. Er hatte Schüler gefunden. Und tatsächlich fehlen auch im Pramāņaviniscayaḥ so bittere Worte, wie sie das Pramāņavārttikam schließen. Aber der Erfolg scheint doch beschränkt gewesen zu sein. In Nālandā, dem Zentrum der buddhistischen Gelehrsamkeit, unterrichtete man weiter nach den alten Werken Dig Page #14 -------------------------------------------------------------------------- ________________ 154 E. Frauwallner naga's. Und unter seinen Schulern war keine wirkliche Begabung, niemand, der fahig gewesen ware, sein Werk wurdig fortzusetzen 20. Man glaubt die Nachwirkung seiner Enttauschung und Verbitterung in seinen Werken zu spuren. Er zieht sich immer mehr auf die reine Logik zuruck. Der Ton wird herber und scharfer. Und die Polemik tritt starker in den Vordergrund. Er hat noch zwei grossere Werke geschrieben. Im Hetubinduh griff er auf sein Jugendwerk zuruck, das ihm besonders lieb gewesen zu sein scheint, und fuhrte dessen Hauptthema, die Lehre von den drei Arten des Grundes, abschliessend aus. Im Vadanyayah brachte er mit der Lehre von den Grunden der Niederlage (nigrahasthanani) eine wichtige Erganzung zu seinem bisherigen Lehrgebaude und setzte sich mit ungewohnter Scharfe und Ausfuhrlichkeit mit der gegnerischen Nyaya-Schule auseinander. Damit endet, was sich aus Dharmakirti's Werken uber sein Schaffen erschliessen lasst. Wir wissen nicht, ob er noch den gewunschten vollen Erfolg erlebt hat. Bei der Nachwelt hat er ihn jedenfalls in reicherem Masse gefunden als irgendein anderer buddhistischer Philosoph. Keiner wird von den Vertretern der verschiedensten Schulen so oft erwahnt, keiner hat so lange nachgewirkt wie er. Und eine lange Reihe bedeutender Manner setzte im Anschluss an seine Schriften sein Werk fort und liess die buddhistische Schule der Erkenntnistheorie und Logik noch Jahrhunderte lang bluhen. Damit ist unsere Untersuchung zu Ende. Es ist uns gelungen, nicht nur die Hauptwerke Dharmakirti's zeitlich einzuordnen, sondern auch daruber hinaus einen Blick in sein Schaffen zu tun. Und dadurch gewinnen unsere Ergebnisse allgemeinere Bedeutung. Dharmakirti ist neben Dignaga der bedeutendste Vertreter der logisch-erkenntnistheoretischen Schule des Buddhismus und einer der grossten indischen Philosophen uberhaupt. Aber wahrend uns von Dignaga's reichem Schaffen nur ein Bruchteil erhalten ist, besitzen wir von ihm alle wichtigen Werke. Ausserdem steht Dharmakirti in einer Zeit und Umgebung, die uns nicht fremd ist. Wir kennen die Schulen und ihre bedeutendsten Vertreter, mit denen er sich auseinanderzusetzen hatte. Es sind also alle Voraussetzungen gegeben, seine Lehre in vollem Moglichkeit, das Werden und die Entwicklung seiner Gedankenwelt zu verfolgen. Es liegt also hier der seltene Fall vor, dass uns einer der grossten indischen Philosophen nicht nur in seiner Lehre, sondern auch als Mensch und Personlichkeit fassbar und verstandlich werden kann. Und darum ist die Erkenntnis Dharmakirti's eine der wichtigsten Aufgaben der indischen Philosophiegeschichte. Hier konnen wir festen Fuss fassen, und wenn das erreicht ist, auch zu einem besseren Verstandnis nicht nur seiner Zeit und Umwelt, sondern auch seiner Vorganger und Nachfolger gelangen. Und wenn es mir gelungen ist, den Weg dazu zu zeigen, dann ist der Zweck dieses Aufsatzes erfullt. Allerdings ist in ihm nur die aussere Entwicklung im Schaffen Dharmakirti's in grossen Linien angedeutet. Es wird eine anziehende Aufgabe sein, daruber hinaus die Entstehung und allmahliche Weiterbildung seiner Gedanken im einzelnen zu verfolgen. Aber das erfordert weitere Untersuchungen in grosserem Rahmen. 20 Die Unzulanglichkeit Devendrabuddhi's, welche die bei Taranatha uberlieferte Anekdote treffend charakterisiert (ed. Schiefner S. 143; Ubersetzung S. 186f.), tritt in seiner Pramanavarttikavsttih handgreiflich an den Tag.