Book Title: Bemerkungen Zu Isvarasenas Lehre Vom Grund
Author(s): Ernst Steinkellner
Publisher: Ernst Steinkellner
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Page #1 -------------------------------------------------------------------------- ________________ BEMERKUNGEN ZU IŠVARASENAS LEHRE VOM GRUND * Von Ernst Steinkellner Im ersten Kapitel des Pramāņavārttikam 1 und in seinem Kommentar dazu behandelt Dharmakirti nach einer einleitenden kurzen Besprechung der drei Arten des Grundes (PV I, vv. 1–6 = 3–8 und PVSV p. 1, 8--6. 21) noch verschiedene Einzelfragen (PV I, vv. 7-30 = 9-32 und PVSV p. 6, 22-20, 14) bevor er mit Vers 31 = 33 die ausführliche Besprechung der drei Arten des Grundes beginnt. Unter diesen Einzelfragen findet sich auch ein Abschnitt, in dem Dharmakirti zu zeigen sucht, daß Dignāgas Lehre von der Feststellung (niscayah) der drei Merkmale des Grundes seine eigene Theorie von der festen Verknüpfung (pratibandhaḥ etc.) impliziert (PVSV p. 10, 26 ff.). Vorher hat er an verschiedenen Beispielen gezeigt, daß Schlußformen, bei denen ohne Gewähr einer festen Verknüpfung die Gültigkeit (d. h. das Nichtfehlgehen) des Grundes durch Angabe des gemeinsamen Fehlens von Grund und Folge (vyatirekah), welches durch bloße Nichtwahrnehmung des Grundes im Ungleichartigen erkannt wurde, belegt ist, abgelehnt werden müssen, weil das Fehlen des Grundes im Ungleichartigen auf diese Weise zweifelhaft bleibt (PVSV p. 8, 16-10, 25). Nach seiner Interpretation hätte nun Dignāga, weil eine feste Verknüpfung zwischen Grund und Folge notwendig angenommen werden muß, mit Bezug auf die drei Merkmale des Grundes – daß er Beschaffenheit des Gegenstandes, im Gleichartigen vorhanden, im Ungleichartigen nichtvorhanden ist – von Feststellung ? gesprochen (vgl. PV I, * Als Referat gehalten vor dem XVI. Deutschen Orientalistentag. 1 Die an zweiter Stelle angegebenen Ziffern für Verse aus dem PV I vertreten eine Verszählung, die gegenüber Gnoli die beiden Mangala-Verse mitberücksichtigt. Vgl. Tilmann Vetter: Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte, 245. Band, 2. Abh. Wien 1964, Anhang V, p. 116. Das liest Dharmakirti aus PS III v. 11 heraus, und zwar aus dem Wort „erwiesen (prasiddha-)", das vom Grund gesagt wird (vgl. PVSV p. 11, 3-5). 73 Page #2 -------------------------------------------------------------------------- ________________ v. 15 = 17). Feststellung aber impliziert die Verknüpfung, ,,denn, wenn eine Verknüpfung nicht vorliegt, gibt es keine Feststellung des gemeinsamen Vorkommens oder Fehlens. Daher spricht er [= Dignāga], indem er auf eben diese [Verknüpfung] hinweist, von Feststellung“ 3. Darauf rechtfertigt er seine Interpretation, die der Aussage Dignāgas, der Grund sei erwiesen (= festgestellt), die Implikation seiner eigenen Theorie von der festen Verknüpfung unterschiebt, auf folgende Weise: „Wenn man die Auffassung vertritt, daß] die Formulierung der Ungleichartigkeit nach als Gegensatz zum fehlgehenden [Scheingrund] ein Nichtsehen zum Ergebnis hat, [so läßt sich dazu sagen, daß] man dieses [Nichtsehen] erkennt, auch wenn [die Formulierung der Ungleichartigkeit nach] nicht ausgesagt worden ist“ 4. Das heißt: Die Formulierung der Ungleichartigkeit nach hat den Zweck festzustellen, daß der Grund im Ungleichartigen fehlt, schließt also das Fehlgehen (d. i. hier im besonderen die Unschlüssigkeit, anaikāntikatā) des Grundes aus. Sollte nun diese Formulierung der Ungleichartigkeit nach, ohne daß eine feste Verknüpfung zwischen Grund und Folge vorausgesetzt ist, bloß erbringen, daß man den Grund nicht sieht, wenn man die Folge nicht sieht, dann wäre sie überflüssig, denn, daß man den Grund nicht sieht, ist auch schon bevor sie vorgetragen wird bekannt. Uberflüssig ist sie aber nach Dignāga nicht, was Dharmakirti mit einem Zitat des Nyāyamukham belegt (PVSV p. 11, 7-8). Die anschließende Polemik (PVSV p. 11, 13f.) kreist um die Frage nach dem Zweck der Formulierung der Ungleichartigkeit nach (vaidharmyavacanam). Dharmakirtis Position ist, daß sie unter der Annahme, sie diene dem Nachweis der Tatsache, daß man den Grund nicht sieht, überflüssig sei (vgl. PVSV p. 12, 3f.). Im Hauptteil der Polemik (PVSV p. 12, 4–15, 8) beschäftigt sich Dharmakīrti mit der Antwort eines bestimmten Gegners auf die Frage nach dem Zweck der Formulierung der Ungleichartigkeit nach. Der Auf die Frage der Berechtigung dieser Interpretation kann ich hier nicht eingehen. 3 na hy asati pratibandhe 'nvayavyatirekaniscayo 'sti. tena tam eva darśayan niscayam āha. PVSV p. 10, 28-11, 1. 4 | vyabhicārivipakşeņa vaidharmyavacanam ca yat | yady adrștiphalam tac ca tad anukte 'pi gamyate || PV I v. 16=18. 74 Page #3 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Gegner, der hier bekämpft und dessen Lehre mit knappen Angaben referiert wird, ist sein eigener Lehrer Isvarasena 5 (vgl. die folgenden Belege). Das Stück beginnt mit einem Einwand, in welchem der Gegner der Formulierung der Ungleichartigkeit nach eine besondere Aufgabe zuweist. Dieser lautet: ,,Keineswegs hat jemand, der durch soviel [d. i. durch bloßes Nichtbeobachten, nicht beobachtet, [die sichere Erkenntnis 6],[der Grund) ist im Ungleichartigen) nicht vorhanden'. [Somit] hat die Formulierung [der Ungleichartigkeit nach] den Zweck, diese [sichere Erkenntnis zu veranlassen).“ 7 Der Gegner ist also der Ansicht, daß die bloße Nichtbeobachtung des Grundes die Erkenntnis, daß der Grund im Ungleichartigen fehlt, nicht sicher vermitteln kann, und zwar einfach deshalb – ich schließe mich hier an Karņakagomins Erklärung an –, weil er auch vorhanden sein könnte, obschon er auf Grund von zu großer Entfernung etwa nicht beobachtet wird. Erst in der Formulierung der Ungleichartigkeit nach wird festgestellt, daß der Grund nicht vorhanden ist, und zwar dort, wo auch die Folge nicht vorhanden ist. Zweck dieser Formulierung ist also die Gewinnung der Erkenntnis jenes Fehlens des Grundes, das allein für den Schluß von Wichtigkeit ist, nämlich des Fehlens, wenn auch die Folge fehlt. In diesem Sinne wird der Gegner weiter unten zitiert: „Das Fehlen [des Grundes] ist erwiesen durch eine Nichtbeobachtung beim Nichtvorhandensein der Folge]“ 8. Und am Ende dieser Polemik sagt Dharmakirti: „Auf solche Weise ist ein gewisser Anhänger des Lehrers, der das Nichtvorhandensein auf Grund einer Nichtbeobachtung lehrt, zurückgewiesen" 9. 5 Vgl. E. Frauwallner: Landmarks in the History of Indian Logic. WZKSO V, 1961, p. 140f. 6 niscayah nach Karņakagomin. ? na vai anupalambhamānasya tāvatā nāstīti bhavati. tadartham vacanam. PVSV p. 12, 4-5. 8 tadabhāve 'nupalambhāt siddha vyāvrttih. PVSV p. 12, 14. o evam ācāryāyaḥ kaścid anupalambhād abhāvam bruvāņa upālabdhah. PVSV p. 15, 7f. – Dazu sagt Karņakagomin: ,,Der gewisse Anhänger des Lehrers ist ein Schüler des Lehrers, [und zwar] einer, der das Werk des Lehrers nicht richtig verstanden hat." (ācāryasya sięya ācāryiyah kaścid ācāryagranthānabhijñaḥ... PVSVT p. 68, 25). Diese Anmerkung ist aus Chrers, (und 2n: „Der gewissina upālabdhah. 75 Page #4 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Zur richtigen Beurteilung dieser Lehre muß berücksichtigt werden, daß ihr Autor noch nicht mit der Theorie von der festen Verknüpfung von Grund und Folge arbeitet, über Vermittlung von deren Notwendigkeit sich das gemeinsame Fehlen schon mit der Feststellung der Verknüpfung ergibt. Wenn es nun bei Dignaga heißt, daß beide Beispiele, das gleichartige wie das ungleichartige, in einer unanfechtbaren Schlußfolgerung formuliert werden müssen 10, dann ist das im ersten Fall nicht schwierig. Die Formulierung des gleichartigen Beispiels, d. i. im Verständnis Dharmakirtis die Formulierung der Gleichartigkeit nach, setzt nur voraus, daß man den Grund dort sieht, wo man die Folge sieht. Im zweiten Fall ist jedoch vorausgesetzt, daß man das Fehlen des Grundes erkenne. Es fragt sich nun zweierlei. Zunächst: Was ist das Fehlen des Grundes ? Und dann: Wie, d. h. durch welches Erkenntnismittel (pramānam), erkennt man das Fehlen des Grundes? Meines Wissens Fragen, die noch von Dignāga weder gestellt noch beantwortet worden sind. Der hier vorliegende Gegner scheint jedenfalls diese Fragen gestellt und, wie wir noch sehen werden, zu ihrer Beantwortung gegenüber Dignāga durchaus neue Gedanken in die buddhistische Logik gebracht zu haben. Die zuletzt zitierten Stellen geben die Antwort auf die Frage nach dem Wie der Erkenntnis des Fehlens: Man erkennt das Fehlen des Grundes durch die Nichtbeobachtung. Diese wird so zu einem wichtigen Begriff der logischen Theorie und es nimmt daher nicht wunder, wenn dieser Begriff auch genauer bestimmt worden ist. Die Besonderheit dieses Begriffes und seiner Bestimmung scheint es auch gewesen zu sein, die seinen Schöpfer noch nach dem Wirken Dharmakirtis eine Zeit lang im Gedächtnis der Tradition bewahrt hat. Sakyamati übernommen worden (vgl. dessen Kommentar zum Pramāņavārttikam, Peking Edition, Band 131, No. 5718, f. 41b 8f.). Die Angabe, daß Isvarasena Schüler Dignāga's war, kann man nicht gut wörtlich nehmen, weil man sonst in Schwierigkeiten mit der anderen Angabe kommt, daß er Lehrer Dharmakirti's gewesen sei; eine unmittelbare Beziehung zwischen Isvarasena und Dharmakirti glaube ich vorläufig aber unbedingt annehmen zu müssen. Das Werk, das er nicht richtig verstanden hat, ist wohl der Pramāṇasamuccayah. 10 Vgl. G. Tucci: The Nyāyamukha of Dignāga. Heidelberg 1930, p. 42, 4ff. 76 Page #5 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Wie wird nun diese Nichtbeobachtung, durch die man das Fehlen des Grundes erkennt, bestimmt? Karņakagomin gebraucht in seinen Erklärungen an einer Stelle (PVSVT p. 62, 13) offenbar synonym dem Ausdruck „auf Grund der bloßen Nichtbeobachtung" (anu palambhamā trat) den Ausdruck auf Grund des bloßen Fehlens eines Sehens“ (darsanābhāvamātrāt). Mehr gibt es zur Bestimmung dieser Nichtbeobachtung in Zusammenhang mit der vorliegenden Polemik nicht. Das Synonym bei Karņakagomin erlaubt aber die Einbeziehung von Material, das sich zwar an ganz anderem Orte findet, aber schlagend die bisher gefundenen Gedanken ergänzt und verständlich macht. Gedacht ist an einige knappe Angaben Arcațas in seinem Kommentar zu Dharmakirtis Hetubinduḥ, die zum Teil wohl als Zitate zum Teil als Referate 11 von Távarasenas Lehre zum Thema Nichtbeobachtung und Nichtvorhandensein anzusehen sind. Arcata belegt in diesem Zusammenhang gegnerische Theorien, mit denen sich Dharmakirti in einem Exkurs im Kapitel über den Grund der Nichtbeobachtung (anupalabdhihetuḥ) unter dem Aspekt der Frage nach dem Wesen der Nichtbeobachtung und deren Objekt auseinandersetzt. Unter den von Dharmakirti bekämpften Theorien findet sich auch die des Isvarasena 12. 11 Für eine genauere Unterscheidung zwischen Zitat und Referat fehlt mir in diesem Fall noch jeder Maßstab. 19 Nach dem Hetubinduḥ läßt sich aber kein annähernd so deutliches Bild von der Theorie Isvarasena's machen, wie nach den wenigen Trümmern, die Arcata überliefert, weil Dharmakirti die Polemik in der Weise abwickelt, daß er seine eigene Lehre von der Nichtbeobachtung den Angriffen der Gegner aussetzt, die Theorien der Gegner im Hintergrund aber eher unberücksichtigt läßt. Die Polemik ist also auf Verteidigung, nicht auf Angriff zugeschnitten. So ist man auch für die Orientierung hinsichtlich der Richtung seiner Angriffe häufig auf die Bemerkungen Arcatas angewiesen. Darüber hinaus muß meine Interpretation der Theorie Távarasenas vorläufig unvollständig bleiben. Ich beschränke mich hier auf die für die Logik wichtigen Gedanken und muß auf eine ausführliche Beschreibung des ganzen Materials zum Thema Nichtvorhandensein und dessen Erkenntnis verzichten, weil eine richtige Beurteilung der hierzu überlieferten Stellen die gründliche Kenntnis der Thematik zur Zeit Dharmakirtis voraussetzt. Es gibt zu diesen Problemen bis heute noch keine eingehende Studie. Die in verschiedenen älteren und neueren Arbeiten gebrachten Besprechungen sind leider nur oberflächliche Nacherzählungen der Primärliteratur. 77 Page #6 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Arcata gibt die Lehre Isvarasenas in folgender Weise an: ,,Einige nehmen an, daß die Nichtbeobachtung, das bloße Fehlen von Beobachtung, als ein weiteres Erkenntnismittel daş Nichtvorhandensein, welches reine Negation ist, erkennen läßt, (nämlich] Isvarasena und die anderen" 13. Hier sind die wesentlichen Momente der Theorie zusammengefaßt: Die Nichtbeobachtung ist nichts als das Fehlen einer Beobachtung; die Nichtbeobachtung ist ein weiteres Erkenntnismittel (pramāņam); das Nichtvorhandensein ist reine Negation 14. Für die Logik vor Dharmakirti sind in engerem Sinn nur die beiden ersten Momente von Belang. Das dritte, das Nichtvorhandensein, gewinnt seine Bedeutung für das System der Logik erst durch Dharmakīrti, allerdings auch in ganz anderer Weise, die mit dem hier intendierten Nichtvorhandensein erst sekundär in Zusammenhang stehen. Ich möchte nun versuchen, einen genaueren Begriff davon zu gewinnen, welchen Sinn die beiden Angaben: Nichtbeobachtung ist Fehlen von Beobachtung und als solche ein weiteres Erkenntnismittel unter der Voraussetzung der Erkenntnismitteltheorie Dignāgas haben 15. 13 kecid upalabdhyabhāvamātram anupalabdhim abhāvasya prasaj yapratişedhātmanaḥ pramāṇāntaratvena gamikām icchanti isvarasenaprabhặtayah. HBT p. 167, 9-11. Vgl.: na tu yatheśvaraseno manyata upalabdhyabhāvamātram anupalabdhir iti. HBT p. 174, 9f. und daran anschließende Stellen bei Durveka Miśra: ,,Isvarasena nämlich hat diese [Nichtbeobachtung] im Carakavyākhyānam(?) als weiteres Erkenntnismittel erklärt.“ (tathā ceśvarasenaś carakavyākhyāne pramāņāntaratvenemām upadarşayām babhūva. HBTA p. 380, 27f.). Oder: „... aber man nennt nicht das bloße Fehlen einer Beobachtung unter Bezug auf die reine Negation, wie īśvarasena meint." (na tūpalambhābhāvamātram prasajyapratiședhāśrayeņocyate yathesvaraseno manyate. DhPr p. 103, 14f.). Oder: ,,Isvarasena meint, daß die Nichtbeobachtung bloß das Fehlen einer Beobachtung sei." (upalabdhyabhāvamātram anupalabdhim iśvaraseno manyate. DhPr p. 108, 16f.). 14 Reine Negation (prasaj yapratişedhaḥ) steht hier im Gegensatz zur Exklusion (paryudāsah). Zu dieser Terminologie vgl. J. F. Staal: Ne. gation and the Law of contradiction in Indian thought: A comparative study. BSOAS XXV, 1962, p. 58 ff. und L. Renou: Terminologie grammaticale du Sanskrit. Paris, 1957, p. 202, p. 230. Eine gute Bestimmung der Termini, wie sie in der vorliegenden Schultradition gebraucht werden, findet sich bei Karņakagomin, PVSVT p. 524, 16-18. 15 Als Voraussetzung genügen hier die prinzipiellen Bemerkungen im Nyāyamukham. Vgl. G. Tucci: loc. cit., p. 50. 78 Page #7 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Nichtbeobachtung ist bloßes Fehlen von Beobachtung. Von Bedeutung ist, daß hier nur der Ausfall der Wahrnehmung (upalabdhiḥ= pratyaksam) genannt ist, nicht etwa der Ausfall jeglichen Erkenntnismittels (pramāņam), der das Erkenntnismittel Nichtsein (abhāvaḥ) in der Bhatta-Mīmāmsā z. B. definiert. Das heißt aber, daß der Bereich, für den die Erkenntnisart Nichtbeobachtung in Frage kommt, mit dem Bereich, welcher der Wahrnehmung zugänglich ist, identisch ist. Jedes Erkenntnismittel hat sein besonderes Erkenntnisobjekt. Objekt der Wahrnehmung sind die individuellen Dinge (svalaksanam), Objekt der Nichtbeobachtung, d. i. des Ausfalls von Wahrnehmung, kann nur der Ausfall des Individuellen sein, denn fehlte es nicht, würde es wahrgenommen. Der Ausfall der Individuellen aber ist wohl das Nichtvorhandensein, das Isvarasena als reine Negation bestimmt. Die Erkenntnis dieses Objektes geschieht durch die Nichtbeobachtung. Das Nichtvorhandensein als reine Negation ist etwas vom Individuellen, dem Objekt der Wahrnehmung und vom Allgemeinen, dem Objekt der Schlußfolgerung, Verschiedenes. Ein weiteres Objekt bedarf eines weiteren Erkenntnismittels. Der Ansatz des Nichtvorhandenseins als reine Negation dürfte also die Lehre von der Nichtbeobachtung als ein drittes Erkenntnismittel neben Wahrnehmung und Schlußfolgerung bedingen. Mehr wage ich im Augenblick von diesem Material nicht heranzuziehen. Es scheint - von den übrigen Stellen im Hetubinduḥ und in der Tīkā her gesehen –, daß Isvarasena die Erkenntnismitteltheorie in diesem Bereich weiter ausgebaut hat und daß er auch mit seinem Begriff der Nichtbeobachtung noch in eine Auseinandersetzung mit Dharmakirtis Begriff der Nichtbeobachtung als logischer Grund eingetreten ist. Der Exkurs auf das Material in der Hetubindutīkā hat jedenfalls für die Lehre von der Feststellung des gemeinsamen Fehlens von Grund und Folge ergeben, daß diese nach Távarasena geleistet wird durch ein drittes Erkenntnismittel, namens Nichtbeobachtung (anupalabdhiḥ), das nichts anderes ist als der Ausfall der Erkenntnis Wahrnehmung. Wenn es ferner stimmt, daß sich bei Dignāga nichts findet 16, was als 16 Die Tatsache, daß Tsvarasena diese Lehre überhaupt ausgebildet hat, scheint mir dafür ein schlagender Beweis zu sein. Und daß er sie selber 79 Page #8 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Anhaltspunkt dafür dienen könnte, wie er sich die Erkenntnis des Fehlens des Grundes im Ungleichartigen genauer vorgestellt hat, dann dürfen wir annehmen, daß die Verlegenheit, in die sich Isvarasena mit dieser Durchführung des Gedankens gebracht hat, groß war. Er sah sich gezwungen, einer vor ihm nicht bedachten Erkenntnisart, der Nichtbeobachtung, eine Stelle im System der Erkenntnismittel zu geben, und konnte dies unter seinen Voraussetzungen sichtlich nur, indem er die Nichtbeobachtung als ein drittes Erkenntnismittel lehrte. Ich sehe keinen Grund dafür, die diesbezüglichen Angaben Arcatas zu bezweifeln. Außerdem spricht die heftige Polemik Dharmakirtis gegen jede maßgebliche Erkenntnis durch bloßes Fehlen eines Wahrnehmens deutlich genug. Im Anschluß an die oben zitierte Stelle (PVSV p. 12, 14), in der Isvarasenas Auffassung von der Erkenntnis des Fehlens des Grundes erscheint, findet sich ein Einwand Dharmakirtis, der auf die Konsequenzen dieser Auffassung verweist und der weiter unten besprochene Versuch Távarasenas, die Schwierigkeiten zu beheben, zeigt an, daß er die Konsequenzen bedacht und die ganze Theorie von der Gültigkeit und damit von den notwendigen Merkmalen eines Grundes umgestaltet haben muß. Dharmakirtis Einwand ist mit PV I, v. 18 ab = 20 ab gegeben. Ihm folgen noch andere, wesentlich ist aber nur der erste 17. Er lautet: ,,Wenn sich das Fehlen [des Grundes im Ungleichartigen, durch ein Nichtsehen ergibt, wie soll dann [die Schlußfolgerung, die] das Restliche besitzt 18, ausgebildet und nicht etwa übernommen hat, dürfte wohl durch die Tradition hinreichend belegt sein. 17 Es läßt sich natürlich nicht sagen, ob es der gleiche Einwand ist, der Távarasena dazu genötigt hat, die Konsequenzen seiner Lehre zu verfolgen. Die entscheidenden Momente des Einwands müßte man jedoch schon für Távarasena als gegeben beanspruchen. 18 Was Dharmakirti unter einer Schlußfolgerung, die das Restliche besitzt (seşavat) versteht, geht aus PV I, v. 14=16 hervor: „Für welchen (Grund] das durch bloßes Nichtsehen (gewonnene) gemeinsame Fehlen im Ungleichartigen] angegeben wird, eine solche [Schlußfolgerung, die] das Restliche besitzt, ist angeführt worden, weil [eben] dieser Grund) Anlaß für einen Zweifel ist." (I yasyādarsanamatrena vyatirekaḥ pradarsyate | tasya samsaya. hetutvão chegavat tad udahrtam ||). Dazu vgl. Karņakagomin: „Für welchen Page #9 -------------------------------------------------------------------------- ________________ fehlgehend sein ?“ 19 Diese Schlußfolgerung soll fehlgehend sein. Wichtig ist für uns hier nur, warum sie es ist. Sie ist Anlaß für einen Zweifel (vgl. PV I, v. 14c = 16c). Warum? Weil das Fehlen des Grundes im Ungleichartigen durch bloße Nichtbeobachtung nur dann gesichert ist, wenn jemandem sämtliche Fälle des Ungleichartigen bekannt sind (vg PVSV p. 10, 6f.). Der Zweifel stellt sich ein, weil wir wissen, daß gelegentlich auch Gegenstände, die einer, der alles sehen könnte, beobachtet, von einem anderen je nach Verschiedenheit von Ort, Zeit und Zubereitung nicht beobachtet werden (vgl. PVSV p. 10, 7f.). Die Nichtbeobachtung durch einen Nichtallwissenden kann daher das tatsächliche Fehlen hinsichtlich des ganzen Bereiches nicht sicher feststellen. Dennoch wäre, so Dharmakirti, diese Schlußfolgerung, nach der Art wie Isvarasena das Fehlen des Grundes im Ungleichartigen feststellen will, richtig. Wie will er also das Fehlgehen dieser Schlußfolgerung begründen (vgl. PVSV p. 12, 17–19) ? Dharmakirti bringt nun wieder den Gegner: ,,Einige meinen: Das Fehlgehen besteht in der Vermutung, daß eine Aufhebung durch Wahr [Grund] das Vorhandensein im Gleichartigen (gegeben ist) und das gemeinsame Fehlen durch bloßes Nichtsehen im Ungleichartigen (gegeben ist), diese [Schlußfolgerung) ist eine, die das Restliche besitzt." (yasya sapakşasattvam vipakşe cadarsanamätrād vyatirekas tac chesavat. PVSVT p. 58, 16f.). So ist mit der Schlußfolgerung, die das Restliche besitzt, eine solche gemeint, bei der das gemeinsame Vorhandensein des Grundes mit der Folge durch Wahrnehmung gesichert, das gemeinsame Fehlen aber, als bloß durch Nichtbeobachtung festgestellt, ungesichert bleibt, weil der unqualifizierten Nichtbeobachtung des gewöhnlichen Menschen - nur diese ist hier gemeint - niemals alle in Frage kommenden Fälle Objekt sind und daher immer ein Rest (desah) bleibt. Dieser Rest von Fällen, für die sich das gemeinsame Fehlen nicht sichern läßt, läßt die Schlußfolgerung unschlüssig (anaikāntikah) werden. Dieses segavad anumānam hat also nichts mit dem der Naiyāyikas zu tun, das auch von Karņakagomin mit der Alternativfrage von PVSVT p. 56, 29 distanziert wird, sondern ist eine Schlußfolgerung, die mit einer Abart des unschlüssigen Scheingrundes arbeitet. Bei Dharmakirti heißt es: ,,... [und durch die Feststellung] des gemeinsamen Fehlens (wird] die unschlüssige [Schlußfolgerung) und die zu dieser gehörige, die das Restliche besitzt, usw. (ausgeschlossen)." -(vyatirekasyānaikantikāsya tatpaksasya ca sesavadādeh. PVSV p. 11, 2f.). 19 | yady adsotyä nivrttih syāc cheşavad vyabhicāri kim | PV I, v. 18 ab = 20 ab. 81 Page #10 -------------------------------------------------------------------------- ________________ nehmung [möglich sei]" 20.,,Einige" sind nach Karnakagomin (PVSVT p. 61, 19) Isvarasena und seine Anhänger. Dieses Zitat erweitert unsere Kenntnis von Isvarasenas Lehre vom Grund beträchtlich. Nach Dignaga geht ein Grund fehl (vyabhicarati) 21, wenn er im Ungleichartigen teilweise oder vollständig vorhanden ist bei gleichzeitigem teilweisen oder vollständigen Vorhandensein oder Fehlen im Gleichartigen, bzw. wenn er in beiden fehlt. In dem Augenblick, in dem Isvarasena aber versucht hat, das Fehlen des Grundes im Ungleichartigen als durch bloße Nichtbeobachtung erkennbar zu lehren, bleibt auf Grund der Unzulänglichkeit der Nichtbeobachtung gewöhnlicher Sterblicher solcher, die nicht alles wahrnehmen - immer ein Zweifel zurück, wenn das gemeinsame Fehlen von Grund und Folge erkannt oder formuliert wird. Die Nichtbeobachtung ist zwar Erkenntnismittel und als solche gewährleistet sie auch die richtige Erkenntnis des Fehlens, jedoch gemäß ihrer Definition nur hinsichtlich des Bereiches, welcher auch jederzeit als Bereich des Erkenntnismittels Wahrnehmung auftreten könnte. Jenseits dieses Bereiches, im Raume der z. B. durch Entfernung vom Beobachter nichtwahrnehmbaren Gegenstände, für den ,,Rest" also, erhebt sich auch für die Nichtbeobachtung das Gespenst der Möglichkeit eines Irrtums. Die Angabe des Fehlens des Grundes im Ungleichartigen ist somit nach Gewinnung dieser neuen Position nicht mehr imstande, das Nichtfehlgehen des Grundes und so die Richtigkeit der Schlußfolgerung zu garantieren. Isvarasena hatte nun theoretisch zwei Möglichkeiten diese Schwierigkeit zu lösen: Entweder er versuchte, die Lehre von der Nichtbeobachtung so auszugestalten, daß sie eine gültige Erkenntnis des Fehlens mit Bezug auf den ganzen in Frage kommenden Bereich liefern konnte, oder er bestimmte das Fehlgehen des Grundes nicht mehr oder nicht mehr allein als Folge des Fehlens eines oder mehre 20 pratyakṣabadhāśankā vyabhicāra ity eke. PVSV p. 12, 19. Im Kontext ist die Stelle natürlich so aufzufassen, daß der Gegner sagen will, bei der Schlußfolgerung, die das Restliche besitzt, bestehe das Fehlgehen in der Vermutung, eine Aufhebung durch Wahrnehmung sei möglich. 21 Der fehlgehende Grund ist hier nicht als Abart des Scheingrundes zu denken, also nicht etwa als unschlüssiger (anaikantikaḥ) Grund, sondern ganz allgemein als Grund, der die Folge verfehlt. 82 Page #11 -------------------------------------------------------------------------- ________________ rer der drei Merkmale. Für die letzte Möglichkeit scheint er sich entschieden zu haben, wie das Zitat zeigt. Danach besteht das Fehlgehen eines Grundes darin, daß die Möglichkeit einer Aufhebung der Folge dieses Grundes durch die Wahrnehmung gegeben ist. Das heißt aber soviel, daß ein Grund auch unter Besitz der drei Merkmale nur dann schlüssig ist, wenn seine Folge durch eine Walırnehmung im Einzelfall nicht aufgehoben wird. Entsprechend sagt auch Karņakagomin dazu: „Das heißt, daß der Grund nicht durch das gemeinsame Vorkommen und Fehlen mit der Folge] allein schlüssig ist, sondern auch, insofern [sein] Objekt [= die Folge] nicht aufgehoben worden ist“ 22. Isvarasena macht also die Schlüssigkeit eines Grundes nicht mehr von der von Dignāga gelehrten Erfüllung von drei Merkmalen allein abhängig, sondern von der Erfüllung von zumindest vier Merkmalen. Zur Forderung, daß der Grund Eigenschaft des Gegenstandes der Schlußfolgerung, daß er im Gleichartigen vorhanden und im Ungleichartigen nichtvorhanden sein muß, gesellt sich als viertes, daß sein Objekt durch Wahrnehmung nicht aufgehoben worden sein darf (abādhitavisayatvam). Dieser knappe Versuch, einigen verstreuten Gedanken nachzugehen, die dem Isvarasena zugeschrieben werden oder mit solchen in Zusam werden können, hat zweierlei gezeigt. Erstens: daß die logischen Polemiken Dharmakirtis auch einen breiten, obgleich im Einzelfall schwierig erkennbaren Zugang zur logischen Literatur der Zeit der ersten Kommentatoren im Anschluß an Dignāga bieten. Und ferner: daß Dharmakīrtis Neuformung der buddhistischen Logik schon wenigstens ein Versuch, die Logik Dignāgas weiterzuentwickeln, vorausgegangen ist, den ich als die Logik des Isvarasena zu bezeichnen wagen möchte. Das bewegende Prinzip dieser Neuformung scheint das konsequente Durchdenken der logischen Lehren Dignāgas gewesen zu sein, das aber nicht nur den Blick auf Probleme geöffnet hat, die für Dignāgá noch nicht aktuell gewesen sein müssen, sondern auch den 22 tad ayam artho na kevalābhyām anvayavyatirekābhyām hetur gamakah, api tv abādhitavişayatve satiti. PVSVT p. 61, 19f. 6* 83 Page #12 -------------------------------------------------------------------------- ________________ Versuch veranlaßt hat, Theorien zur Beantwortung der entstandenen Fragen auszuarbeiten 23. Summary The article sets out with an examination of a few statements in Dharmakirti's PVSV which are attributed to his teacher Isvarasena regarding the purpose of the statement of the concomitance in difference (vaidharmyavacanarthah) and the method by which the absence of the probans in the heterologue is proved. With the help of complementary material in Arcațas Hetubinduțīkā the theory of Isvarasena could be established and the reasons for its origin found. According to Isvarasena the absence of the probans in the heterologue is proved by a third kind of valid cognition (pramānāntaram), called non-perception (anupalabdhiḥ), which is nothing but mere absence of perception (upalabdhyabhāvamātram). In consequence of this new concept Isvarasena seems to have re-thought the whole theory of the infallibility (avyabhicāraḥ) of the probans and of the conditions the probans has to fulfil to be considered infallible to the probandum. As a result of his concept of non-perception he taught the infallibility of the probans no longer as with Dignāga to be due to the three marks only, but to at least four marks, the fourth being that its object, the probandum, must not have been cancelled by peroeption (abādhitavişayatvam). This theory, although a part of the logical system only, shows, that the advancement of Buddhist logic after Dignāga was already started by Iśvarasena. The impulse of Távarasena's logical thought seems to have been a careful reflection on Dignāgas teachings. This led to new questions and to new theories which might be thought of as the logic of Isvarasena. DhPr Pandita Durveka Misra's Dharmottarapradipa. Deciphered and edited by Pandita Dalsukhbhai Malvania. Patna 1955. Tibetan Sanskrit Works Series Vol. II. HBT Hetubinduţikā of Bhatta Arcaţa with the Sub-Commentary en titled Aloka of Durveka Misra. Edited by Pandit Sukhlalji San23 Für einige wertvolle Bemerkungen zu dieser Arbeit bin ich Herrn Professor G. Oberhammer sehr verpflichtet. 84 Page #13 -------------------------------------------------------------------------- ________________ ghavi and Muni Shri Jinavijayaji. Baroda 1949. Gaekwad's Oriental Series No. CXIII. HBTA Hetubindutikalokah. Siehe HBT. PS Pramanasamuccayah. PVI Raniero Gnoli: The Pramanavarttikam of Dharmakirti, the first chapter with the Autocommentary. Text and critical notes. Roma 1960. Serie Orientale Roma XXIII. PVSV Pramanavarttikasvavittih. Siehe PV I. PVSVT Acarya-Dharmakirteh Pramanavarttikam (Svarthanumanapari. cchedah) svopajnavsttya Karnakagomiviracitaya tattikaya ca sahitam, Rahula-Samkrtyayanena sampuritam sampaditan ca. Allahabad 1943. 85